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Archiv-Artikel

Labours letzter Versuch

DIE WAHL

Morgen können 5 Millionen Schotten wählen. Bei den Regionalwahlen stimmen sie darüber ab, ob sie von England unabhängig werden wollen. Denn für die Schottische Nationalpartei (SNP) unter Führung von Alex Salmond steht die Unabhängigkeit ganz oben auf der politischen Agenda.

Die SNP liegt in den Umfragen überraschend weit vorn: bei 38 Prozent. Die schottische Labour-Partei, die mit Jack McConnell ins Rennen geht, liegt bei nur 33 Prozent.

Wahlentscheidend könnte sein, dass sich dieser Tage der Act of Union zum 300. Mal jährt. 1707 wurden die Parlamente von Schottland und England vereint, woraus das Vereinigte Königreich von Großbritannien entstand. Die Verbindung gilt bis heute als Vernunftehe. Spitzenkandidat Salmond verspricht ein Referendum über die Unabhängigkeit, jedoch erst in drei Jahren. Damit will er seinen politischen Gegnern, die den Schotten Angst vor der SNP machen, die Argumente nehmen.

Gewinnt die SNP, ist völlig unklar, mit wem sie koalieren soll. Labour und die Tories kommen nicht in Frage. Und die Liberalen können sich eine Koaltion zwar vorstellen, aber nur ohne das Referendum. TAZ

AUS EDINBURGH RALF SOTSCHECK

Es ist noch früh. Alex Salmond, der Chef der Schottischen Nationalpartei (SNP), hat zum Businessfrühstück geladen. Im Oloroso, dem trendigen Restaurant in der Innenstadt von Edinburgh, treffen ab sieben Uhr die ersten Geschäftsleute ein. Um acht Uhr tritt Salmond nach vorn. In seinem schwarzen Anzug, dem blauen Hemd mit roter Krawatte sieht er aus wie ein Bankier, und das war er früher auch. Bis er in die Politik ging, arbeitete Salmond bei der Royal Bank of Scotland als Ölexperte. Und um Öl geht es auch an diesem Morgen; der 52-Jährige legt seinen Haushaltsplan für die nächsten vier Jahre vor. Er möchte – sollte er morgen die Wahl zum Regionalparlament gewinnen – Erster Minister, also schottischer Regierungschef werden.

Salmond rechnet den Geschäftsleuten im Oloroso vor, wie er Geld sparen würde, etwa mit Bürokratieabbau. Und wie er mit den Einnahmen aus dem Nordseeöl und der Whiskyindustrie die Körperschaftsteuer senken würde – wie im Boomland Irland. Das wiederum würde ausländische Investoren anlocken, und die schottische Wirtschaft könnte wie auf der Nachbarinsel wachsen und gedeihen. Die Geschäftsleute applaudieren höflich. Sie haben die alte Angst vor der SNP längst verloren. Noch 1999, vor den ersten Wahlen zum Regionalparlament, warnten 100 Unternehmer, die SNP bringe Chaos und Ruin über Schottland. Das ist heute anders. 35 Prozent der Spitzenverdiener wollen morgen laut einer Umfrage die SNP wählen – mehr als jede andere Partei.

„Salmond klingt vernünftig“

Steven Moffat ist einer von ihnen. Der 40-Jährige sieht nicht aus wie ein Unternehmer. Er trägt Jeans, hat lange Haare und einen Dreitagebart. Als er jünger war, hat er die SNP gewählt, dann, nach Schottlands Teilautonomie 1999, auf Labour gesetzt. „Aber diese Regierung hat nicht die versprochenen Rahmenbedingungen für Wachstum geschaffen“, sagt er heute. Zuletzt hat er gar nicht mehr gewählt, doch Salmond hat ihn beim Business Breakfast im Oloroso überzeugt: „Sein Wirtschaftsplan ist verständlich und klingt vernünftig.“

Moffat importiert Holzhäuser aus Litauen, er verkauft Babykleidung, Reiterbedarf und vermarktet Musikrechte. Er hat nur sieben Angestellte; die anderen Mitarbeiter sind am Profit beteiligt. „So können sie selbst die Höhe ihres Einkommens beeinflussen“, sagt er. Das klingt nach Blairs Schlagwort von der Stakeholder Society, der gesellschaftlichen Teilhabe.

Doch mit Labour hat Moffat gebrochen, er hofft jetzt auf die SNP. Die Partei entstand 1934 aus einer Fusion der linken National Party of Scotland mit der konservativen Scottish Party. Ihr erstes Unterhausmandat gewann sie 1967, der Durchbruch kam bei den Wahlen 1974. Damals hatte man in der Nordsee Öl entdeckt, und die SNP bestritt den Wahlkampf mit dem Slogan „Es ist Schottlands Öl“. Sie gewann 30 Prozent der Stimmen und ist seitdem ein Machtfaktor in Schottland – und ab morgen vielleicht die neue Regierungspartei. Die SNP liegt bei der Erststimme, mit der Kandidaten direkt gewählt werden, 8 Prozent vor Labour. Bei der Listenwahl – ein Drittel der 129 Mandate wird nach dem Verhältniswahlrecht vergeben – sind es 5 Prozent. Das könnte der Partei 46 Sitze bescheren, 6 mehr, als Labour hat. Liberale und Tories kämen auf 18 Mandate, die Grünen auf 5.

Auch in Wales, wo morgen ebenfalls gewählt wird, verliert die Labour-Partei möglicherweise ihre Macht. Und bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen im Vereinigten Königreich muss sie mit dem Verlust von 500 Bezirksverordneten rechnen. Aber in Schottland steht mehr auf dem Spiel. Hier wird über den Fortbestand des Vereinigten Königreichs entschieden.

Vor 300 Jahren nämlich wurde Schottland mit England vereinigt. Es war eine Zwangsehe, London übte erheblichen Druck aus und schickte als Anreiz 20.000 Pfund. Gegen den Unionsvertrag gab es schon damals in vielen schottischen Städten Proteste, die Glocken der St.-Guiles-Kathedrale in Edinburgh spielten am 1. Mai 1707 das Lied „Warum bin ich so traurig an meinem Hochzeitstag?“.

Was will Brown dann in London?

Zu diesem fragwürdigen Jahrestag gesellte sich gestern ein zweiter Termin: Premierminister Tony Blairs zehntes Amtsjubiläum. Für Blair und seine Partei geht es morgen ums Ganze. Schon bei der letzten Wahl hätte es ohne die schottischen Labour-Abgeordneten nicht zur Mehrheit gereicht. Schatzkanzler Gordon Brown ist einer dieser schottischen Abgeordneten. Eine Niederlage in seiner Heimat wäre eine Katastrophe: Wenn er nicht mal sein eigenes Land im Griff hat, was will er dann in London als Premierminister?

Die schottische Labour Party sieht Browns und Blairs Einsatz im Wahlkampf mit gemischten Gefühlen. Viele hofften bis zum Schluss, dass Blair einen Termin für seinen Rücktritt verkünden würde. Die SNP liegt ja nicht deshalb vorn, weil die Schotten plötzlich unabhängig sein wollen – das möchten nicht mal zwei Fünftel der Befragten. Die Leute haben die Nase schlicht voll von der Londoner Regierung und vor allem vom Irakkrieg. Aber Blair macht wieder mal alles anders. In einem Fernsehinterview versprach der 53-Jährige, kommende Woche seine „Position klarzumachen“. In London wird nun damit gerechnet, dass er um den 10. Mai herum seine Amtsniederlegung zu Ende Juni oder Anfang Juli bekanntgibt.

Wie groß die Angst bei Labour ist, zeigt der Vorstoß des bisherigen Ersten Ministers, Jack McConnell. Am Wochenende beschwor der 46-jährige frühere Mathematiklehrer die Anhänger der Tories und der Liberalen, taktisch zu wählen und ihre Stimme Labour zu geben, um einen SNP-Sieg zu verhindern. Die Partei setzt auf Angstmache. Blair, der in Edinburgh geboren ist, behauptet, eine SNP-Regierung würde für jede schottische Familie 5.000 Pfund weniger Jahreseinkommen bedeuten. Brown warnt vor der „Balkanisierung“ Großbritanniens. Und Innenminister John Reid tönt, die Schotten würden demnächst Reisepässe benötigen, um ihre Verwandten in England besuchen zu können.

Was für einen Wahlkampf sollte Labour auch machen? Die Partei dominiert seit fünfzig Jahren die schottische Politik, aber große Errungenschaften kann sie kaum vorweisen. Das schottische Wirtschaftswachstum ist niedriger als im britischen Durchschnitt, die Arbeitslosenzahl höher, jedes dritte schottische Kind lebt in Armut, in Teilen Glasgows ist die Lebenserwartung niedriger als in Bagdad. Höchstens in Japan oder Mexiko ist eine Partei so lange an der Regierung“, sagt Angus Robertson, „und vielleicht noch in Bayern.“ Der 37-Jährige ist außenpolitischer Sprecher der SNP, er leitet den Wahlkampf.

Die Zentrale liegt im Hof hinter einer Investmentfirma, neben der Christian Family Church. „Vor acht Jahren hat Labours Negativkampagne funktioniert“, sagt Robertson, „vor vier Jahren auch noch. Aber inzwischen kauft ihnen das keiner mehr ab.“ Er ist Unterhausabgeordneter für den Wahlkreis Midlothian/Südedinburgh und Umgebung. Die Gegend ist eigentlich eine Labour-Hochburg. Früher lebte man hier vom Bergbau, doch auch der letzte Stollen ist heute ein Museum. Hier, in Dalkeith, geht der Spitzenkandidat am Nachmittag auf Stimmenfang. Alex Salmond will dem SNP-Kandidaten Colin Beatty unter die Arme greifen. Der war bis Oktober Banker in London, dann kündigte er und widmet sich seitdem der Politik.

Im Zentrum von Dalkeith trifft man auf eine ungewöhnliche Anhäufung architektonischer Verbrechen, aber Salmond ist nicht zum Sightseeing hier. Er geht lächelnd auf die Passanten zu und stellt sich vor: „Ich bin Alex Salmond, der nächste Erste Minister Schottlands.“ Salmond war schon einmal Parteichef, von 1990 bis 2000. Dann trat er zurück und schwor, nie mehr ein Amt anzunehmen. Vor drei Jahren, als sein Nachfolger zurücktrat, überlegte er es sich anders. Salmonds Vorteil ist seine positive Ausstrahlung. Er schäkert gerne mit den Passanten, in J. T. Stewarts Fleischerei setzt er sich den Metzgerhut auf und lässt sich fotografieren. Die meisten versprechen ihm, die SNP zu wählen.

Der Kandidat – ein Spieler

Ob sie es tun, sei dahingestellt, für die absolute Mehrheit wird es eh nicht reichen. Also wieder eine Koalition aus Labour und Liberalen? Letztere erklärten am Wochenende, es wäre unmoralisch, dem Wahlsieger die Chance zur Regierungsbildung zu verbauen. Auf die Liberalen als Regierungspartner kann Salmond aber nur zählen, wenn er auf das Referendum über die Unabhängigkeit verzichtet, das er für 2010 anvisiert hat.

Warum kandidiert Salmond ausgerechnet im Wahlkreis Gordon im Nordosten? Von den 20 Stimmbezirken, die die SNP morgen gewinnen will, ist Gordon einer der drei am stärksten liberal dominierten, Salmond müsste eine gewaltige Wählerwanderung erreichen. Aber er ist nun mal ein Spieler und zitiert den Marquess of Montrose, der im Englischen Bürgerkrieg auf königlicher Seite kämpfte und 1650 in Edinburgh geköpft wurde: „Wer nur mit Furcht am Leben nagt, / Den Lohn verpasst, der Wicht. / Es ist der Mut, der alles wagt, / Zu gewinnen – oder nicht.“

Das Porträt eines anderen, der stets auf königlicher Seite gekämpft hat, hängt in der winzigen Küche des SNP-Parteibüros. Sean Connery, James-Bond-Darsteller, Schotte, stammt aus dem Edinburgher Stadtteil Fountainbridge. Er überweist der Partei jedes Jahr ein hübsches Sümmchen für den Wahlkampf. Connery hat seine Heimat vor über fünfzig Jahren verlassen, heute lebt er auf den Bahamas. Doch sobald das Land unabhängig sei, werde er zurückkehren, hat er versprochen: „Schottlands Unabhängigkeit ist mir wichtiger als ein Oscar.“