: Klimawandel am 1. Mai
Einen Tag nach den Maifeiern in Kreuzberg und Friedrichshain zieht der Innensenator positive Bilanz. Die Zahl der verletzten Polizisten sei deutlich zurückgegangen. Auch Linke sind zufrieden
VON FELIX LEE
Der 20. Jahrestag des Kreuzberger Kiezaufstands von 1987 wird als friedlichster 1. Mai der vergangen Jahre in die Annalen eingehen. „Wir haben den Krawallmachern den Resonanzboden entzogen“, sagte gestern Innensenator Ehrhart Körting (SPD). „Das Einsatzkonzept der Polizei hat an beiden Tagen gut gegriffen“, so Körting auch mit Blick auf den 30. April.
Zwar zählt der Innensenator für die Walpurgisnacht und den Maifeiertag 234 vorübergehende Festnahmen. Im vergangenen Jahre waren es insgesamt 54 weniger. Diese Zahl sage aber nichts über die tatsächliche Gewalt aus, so Jörg Raupach von der Staatsanwaltschaft. Im Gegenteil: Je weniger randaliert werde, desto übersichtlicher sei es für die Einsatzkräfte, die Straftäter zu erwischen. Viel aussagekräftiger sei die „Qualität der Sachbeschädigung“ und die Zahl der verletzten Beamten, so Körting. Letztere sei im Vergleich zum Vorjahr von 66 auf 43 gesunken.
Zuvor waren zwei „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstrationen“ und die Mayday-Parade störungsfrei durch Kreuzberg und Neukölln gezogen. Erst im Anschluss an eine Spontandemo am späten Abend wollten einzelne Jugendliche mit Stein- und Flaschenwürfen die alljährliche Mairandale provozieren. Doch das gelang nur vereinzelt. Die Polizeieinheiten hielten sich zunächst zurück und nahmen das Geschehen auf Video auf. Sobald die aufgeheizte Stimmung abgeflaut war, schnappten sich Stoßtrupps die Randalierer. „Gegen diejenigen, die das Fest durch Gewalttätigkeiten stören wollten, sind wir gezielt und konsequent vorgegangen“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch.
Die Justiz spielte entsprechend mit. Gegen 33 Personen, die in der Walpurgisnacht aufgefallen waren, hatte das Amtsgericht Tiergarten bereits am nächsten Tag Haftbefehle erlassen. Rund 80 Vorfälle während der Scharmützel am 1. Mai werden noch überprüft. Mutmaßlichen Randalierern drohen wegen gefährlicher Körperverletzung, schweren Landfriedensbruchs und Sachbeschädigung Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.
Auffallend fand Körting, dass die Randalierer so gut wie gar nicht organisiert sind – weder in linken Zusammenhängen noch in „Gangs“. Das sei 2003 noch anders gewesen. Auch der Migrantenanteil sei gering. „In der Community hat sich herumgesprochen, wie saftig die Strafen ausfallen, wenn man erwischt wird“, sagt der 24-jährige Can S., der sich gut in der Migrantenszene auskennt. Zudem seien die meisten beim Myfest eingebunden. „Das ist viel cooler.“
Eine positive Bilanz ziehen auch die Veranstalter der linken Demonstrationen. Philipp Stein vom Mayday-Bündnis freute sich, dass der Protest gegen Prekarisierung „endgültig in Berlin angekommen ist“. Bei der Gewaltfrage drehte ein Sprecher der Revolutionären 1.-Mai-Demo den Spieß um. Er führte den friedlichen Verlauf darauf zurück, dass 30 Polizeibeobachter aus Bürgerrechtsinitiativen den Demonstrationszug begleitet haben. Das habe die Polizisten eingeschüchtert.
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