: Nur 10 Prozent halten an Olmert fest
Hunderttausend wollen heute gegen den Regierungschef demonstrieren. Aber vielen fehlt eine glaubwürdige Alternative
In der israelischen Bevölkerung hat Ehud Olmert offenbar stark an Rückhalt verloren. In einer Umfrage in der Zeitung Jediot Aharonot sprachen sich 65 Prozent der Befragten für Olmerts sofortigen Rücktritt aus, nur 10 Prozent dagegen. 25 Prozent äußerten die Meinung, dass der Regierungschef nach der für Juli erwarteten Veröffentlichung des Abschlussberichts zum Libanonkrieg abtreten solle. Mit 51 Prozent sprachen sich mehr als die Hälfte der Befragten für vorgezogene Parlamentswahlen nach Olmerts Rücktritt aus, 23 Prozent dagegen. In einer Umfrage für die Zeitung Ha’aretz befürworteten sogar 68 Prozent Olmerts Rücktritt, aber nur 40 Prozent vorgezogene Neuwahlen. Laut einer Befragung für die Zeitung Ma’ariv würde die Likud-Partei aus baldigen Wahlen mit 30 Mandaten als stärkste Kraft hervorgehen. Kadima bekäme demnach nur 20 Sitze, die Arbeitspartei von Verteidigungsminister Amir Peretz 18. AFP
JERUSALEM taz ■ „Ehud Olmert sollte gehen, aber das wird er freiwillig nicht“, meint Barry Rockman, pensionierter Psychologe aus Tel Aviv. Deshalb müsse man dem Regierungschef „unter die Arme greifen“. Seit Dienstagabend sind die ersten Demonstranten unterwegs. Sie kommen zu Fuß aus dem nördlichen Haifa und aus Sderot im Süden. Ihr Ziel ist der Rathausplatz in Tel Aviv, wo heute, Donnerstagabend, gegen die „Versager“ in der israelischen Führung demonstriert wird.
„Jetzt muss das Publikum selbst aufs Spielfeld, um die neuen Regeln festzulegen“, appelliert Mitorganisator Uzi Dayan, ehemals Nationaler Sicherheitsberater und heute Chef der Bürgerbewegung „Tafnit“ (Wendepunkt). Der Protest folgt dem am Montag veröffentlichten Untersuchungsbericht über den Libanonkrieg, der das „schwere Versagen“ von politischer und militärischer Führung aufdeckt. „Die Bevölkerung wird diesmal nicht gleichgültig bleiben“, hofft Dayan. „Wenn der Rathausplatz vor Menschen zu platzen droht, wird die Führung verstehen, dass ihre Zeit abgelaufen ist.“ Mit 100.000 Demonstranten rechnen die Veranstalter fest. „Es könnten auch 200.000 werden“, so David Tatarsky, Sprecher der „Zivilen Koalition“, die sich in den vergangenen Monaten mit dem Ziel zusammenfand, den Regierungschef zu stürzen. Das politische Happening wird von Popsängern begleitet und von Ansprachen auch von Politikern der Oppositionsparteien rechts und links im Parlament.
Bei der „Zivilen Koalition“ mit von der Partie ist das „Forum der Frontlinien“, darunter die Leute aus Sderot, das stärker als jede andere Stadt unter den Beschuss palästinensischer Raketen aus dem Gaza-Streifen kommt. Bürgerinitiativen wie das „Forum von Eltern gefallener Soldaten“ oder die „Reservisten“ warten seit Kriegsende auf die Gelegenheit, die für das Desaster des Libanonkrieges Verantwortlichen nach Hause zu schicken.
„Wir haben innerhalb einer Woche 82 unterschiedliche Aufträge bekommen, davon konnten wir gerade zwei erledigen“, erinnert sich der Truppenkommandant Jakir Segew, der als Offizier der Reserve ein libanesisches Dorf einnehmen sollte. Die Situation an der Front sei „absurd“ gewesen, auch weil die Soldaten Befehle erhielten, für die sie weder trainiert noch ausgerüstet waren. 160 israelische Soldaten starben bei den Gefechten. Im Libanon lag die Zahl der Kriegstoten über 1.200. Gleichzeitig ist von den erklärten Kriegszielen praktisch nichts erreicht worden.
Die israelische Bevölkerung stützt den Protest mit deutlicher Mehrheit. Nur noch 9 bis 10 Prozent der Befragten unterschiedlicher Meinungsforschungen sind dafür, dass Premierminister Ehud Olmert im Amt bleibt (siehe Kasten). Aber: „Das Letzte, was wir jetzt brauchen, sind Neuwahlen“, meint Chagai Lavie, Lehrer aus Jerusalem, der selbst den Krieg an der Front erlebte. Nicht dass er mit Olmert zufrieden sei, doch „es gibt keine überzeugende Alternative“. Das Geld für teure Neuwahlen sollte deshalb besser „in Projekte für die Armen gesteckt werden“, findet der orthodoxe Familienvater. Jetzt gelte es zuallererst, die Lektion zu lernen und das Land besser auf mögliche Konfrontationen vorzubereiten. „Wir sollten uns jetzt nicht damit beschäftigen, Köpfe abzuhacken, sondern die Leute an der Regierung endlich arbeiten lassen.“ SK