: Prallen zwei zusammen
SPREEPARK Gleich eine doppelte Zeitreise tritt man mit einer Führung im Spreepark an, in die Geschichte der DDR und der Nachwendezeit: Die Tour ist Teil eines Programms von Themenführungen und Kunstprojekten im Plänterwald
VON ESTHER SLEVOGT
Die Idee ist toll, eine echte Wunscherfüllung: den Spreepark im Plänterwald, wo sich einst ein wunderbarer Vergnügungspark befand, noch einmal zu öffnen. Seit zehn Jahren nun, so lange ist der Park schon zu, verrottet die tolle Wildwasserbahn ebenso wie die restlichen Fahrgeschäfte, die längst von Grün überwuchert oder von vandalistischer Menschenhand zerstört worden sind. Nun hat das HAU ein langes Wochenende lang den Wunsch erfüllt und unter der Überschrift „Der kommende Park“ den Spreepark noch mal geöffnet.
Allerdings muss man, um in den Genuss dieser Öffnung zu kommen, die Kunst als Kollateralschaden mit in Kauf nehmen. Und merkt schon bei den ersten Schritten durch das versunkenen Paradies mit seinen ruinierten Illusionsmaschinen, zerfallenen Eisbuden und übrig gebliebenen Gondeln, dass es die verschiedenen Kunstanstrengungen schwer vor dieser Kulisse haben werden. Schon die Textelaborate der Diskursmaschinen, die im Vorfeld angeworfen wurden, klingen, als wollte man sich auf die unwirkliche Wirklichkeit hier erst gar nicht einlassen.
Kafkaeske Schilderung
Doch schon kurz nach Eintritt in den Park ist man ziemlich unvermittelt an diese Wirklichkeit angeschlossen. Eine der verschiedenen Touren durch die Themenwelt des Parks, der 1969 in der DDR gegründet und nach der Wende von einer westdeutschen Schaustellerfamilie übernommen wurde, wird von einer Tochter dieser Familie höchstpersönlich angeführt: Sabrina Witte, eine quirlige Mittzwanzigerin, die ihr performatives Talent bereits 2009 in Peter Dörflers Dokumentarfilm „Achterbahn“ über die Geschichte ihrer Familie und des Spreeparks unter Beweis gestellt hat.
Schnell und lakonisch entwickelt sie die immer kafkaesker werdende Schilderung des Zusammenpralls zweier Systeme: der Berliner Bürokratie und des Traums ihres Vaters Norbert, aus den Ruinen des DDR-Parks Europas größtes Freizeitparadies auferstehen zu lassen. Sie erzählt, wie Norbert Witte mit Frau, Schwiegermutter und fünf Kindern so wie einer immer größer werdenden Haustierschar den Park übernahm, Millionen investierte und verlor, am Ende nach Südamerika floh, eines der Fahrgeschäfte zum Drogenschmuggel umrüstete, erwischt und verurteilt wurde und inzwischen in den Resten eines Westerndorfs des Parks abgeschirmt von Welt und Familie haust. Einer, der an seinem Traum zu Grunde ging und nun ähnlich gespenstisch dort weiterlebt wie die verrottenden Karussells und Märchenfiguren.
Bereits kurz nach der Übernahme des unerschlossenen Geländes durch die Familie, erzählt die Tochter mit spitzbübischem Lächeln, sei ein erheblicher Teil des Geländes von der Stadt zum Naturschutzgebiet erklärt worden, was die Nutzung weiter Areale als Freizeitpark unmöglich machte. Einmal ereilte die Naturschutzverhängung die Familie mitten im Bau einer neuen Attraktion: ein Schwebekarussell sollte die verwunschene Welt fliegender Geister erschließen, der Baustopp folgte nach Millioneninvestitionen. Für das nicht nutzbare Gelände mussten die Wittes, wie die Tochter erinnert, trotzdem mehrere Millionen Mark Erbbauzins jährlich entrichten. Später verweigerte der Bezirk der Familie Parkplätze, so dass der Spreepark praktisch unerreichbar war.
Zwischendurch fließen Informationen über die Geschichte der Schaustellerdynastie ein: vom Tod des Großvaters auf der Achterbahn und dass Schausteller (wie die Roma) eine eigene Sprache sprechen, als handele es sich nicht nur um einen Berufsstand, sondern auch ein eigenes Volk.
Abgeräumte Denkmäler
Das morbide Ambiente mit der unfassbaren Historie weckt bald auch Assoziationen an andere untergegangene Menschheitsträume. Auch an die untergegangene DDR, die einen mit ihren abgeräumten Denkmälern und geköpften Lenin-Statuen ebenfalls einfällt, während Sabrina Witte davon erzählt, wie über Nacht ein gigantischer Märchenbrunnen verschwand, oder von nächtlichen Einbrechern den übrig gebliebenen Schwanengondeln die Hälse abgesägt wurden. Während andere sich an der über zehn Meter hohen Dinosaurier-Figur zu schaffen machen, die heute umgestürzt zu Füßen des roten Riesenrades liegt, das einmal das einzige Riesenrad der DDR gewesen ist. Der gescheiterte Westler Witte, dessen Sohn in Lima immer noch wegen Drogenschmuggels einsitzt, wird im Geist zum Erich Honecker aller Vergnügungsparks schlechthin. So plastisch schildert die Tochter seine unheilbare Wirklichkeitsverweigerung.
Am Ende kommen jetzt also die Künstler. Aber was wollen sie hier noch groß kunsten, fragt man sich. Die Frage, ob Kunst hier nur als Konkursverwalter des Wirklichen in Erscheinung tritt oder doch eigene Welten zu öffnen versteht, wird erst das Wochenende wirklich beantworten können. Wenn all die Gruppen und Einzelperformer ihre Kunststücke abgeliefert haben.
■ Lunapark Berlin, Burn Out Spreezone, bis 29. Mai, Sa. 14–1 Uhr, So. 12–22 Uhr