: Ungeordneter Rückzug
„Ich halt zu Hartmut“: In Braunschweig solidarisieren sich 400 Bürger mit dem Satiriker Hartmut El Kurdi und fordern die Aufhebung des städtischen Boykotts. Oberbürgermeister Hoffmann rudert zurück: Einen Boykott habe es nie gegeben
Trotz aller Ungereimtheiten versuchte Braunschweigs Oberbürgermeister Gert Hoffmann gestern, sich als Hüter der Meinungsfreiheit zu positionieren. Die Steilvorlage dafür lieferte ihm ein Antrag der Ratsfraktion der „Bürgerinitiative Braunschweig“ (BIBS). Sie forderte die Stadtverwaltung auf, keine Zensur auszuüben und sich gegenüber Künstlern freundlich und wohlwollend zu verhalten, erwähnte den Fall „El Kurdi“ aber im Antragstext mit keinem Wort – flugs schloss sich Hoffmann bei der Abstimmung im Rat dem Antrag der BIBS an. Später veröffentlichte die Stadt eine Pressemitteilung und sprach von einem einstimmigen Votum für uneingeschränkte Kunst- und Meinungsfreiheit. Hoffmann erklärte, mit dem Beschluss sei „die Situation und Praxis in der Stadt Braunschweig recht gut“ beschrieben. KC
AUS BRAUNSCHWEIG KARIN CHRISTMANN
Am Mittwochabend, gegen halb acht, waren nur noch einige besonders hartnäckige Braunschweiger in ihrem Rathaus. Sie warteten auf Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU), der sich in sein Büro zurückgezogen hatte. Sie warteten, weil sie dem Stadtoberhaupt ihre Fragen zum Fall „El Kurdi“ stellen wollten. Hoffmann ließ sich nicht blicken und bat stattdessen die Vorsitzende der grünen Ratsfraktion, Gisela Witte, in sein Büro. Nach einigen Minuten richtete sie den Wartenden eine Nachricht des Oberbürgermeisters aus: Er habe es nicht nötig, mit ihnen zu sprechen – 58 Prozent würden ihm reichen. Bei der letzten Wahl gaben 58 Prozent der Braunschweiger Hoffmann ihre Stimme.
Im Moment steht Hoffmann bundesweit wegen des Vorwurfs in der Kritik, er habe der Stadtverwaltung einen Boykott gegen den Künstler und taz-Kolumnisten Hartmut El Kurdi befohlen, weil er dessen satirische Kritik leid sei. Deshalb protestierten am Mittwochnachmittag rund 400 Braunschweiger auf dem Rathausplatz und solidarisierten sich mit El Kurdi: „Hoffmann benimmt sich wie ein Kindergartenkind, dem man sein Spielzeug nicht gibt“, sagte ein Teilnehmer. Viele hatten ihre Gesichter mit Papiermasken bedeckt, auf denen „UNPERSON“ oder „MUNDTOT“ stand, oder sie trugen T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich halt zu Hartmut“. Bei schönstem Sonnenschein sangen die Teilnehmer gemeinsam „Die Gedanken sind frei“ und fädelten danach ihre Masken auf ein langes Band auf.
Über den Köpfen der Protestierenden, in der ersten Etage des Rathauses, debattierten im selben Moment die Ratsmitglieder den Fall El Kurdi. Hoffmann äußerte sich zum ersten Mal selbst und bezeichnete den Streit als „Aufführung eines kreativ inszenierten Dramas“. Zur inhaltlichen Klarstellung verwies er auf die neueste Erklärung seines Kulturdezernenten Wolfgang Laczny: Es gebe keine Weisung an alle städtischen Institutionen, an Veranstaltungen mit El Kurdi nicht teilzunehmen, erklärte Laczny. Vielmehr sei es immer nur um die „aktive Teilnahme“ gegangen, die der Oberbürgermeister nicht wünsche – allerdings nur, wenn es sich eher um eine politische als eine kulturelle Veranstaltung handele, und zwar nach wie vor wegen der „unflätigen“ Kritik El Kurdis. Von solcherlei Feinheiten war allerdings bis vor kurzem noch nicht die Rede: Der Streit hatte begonnen, als die Ratsgrünen anfragten, ob in der Tat alle städtischen Institutionen angewiesen seien, sich an Veranstaltungen mit El Kurdi nicht zu beteiligen. Damals antwortete Laczny ohne weitere Differenzierungen, eine solche Anweisung habe es bisher schon für seinen Fachbereich Kultur gegeben und sie werde nun „im Interesse einer gleichmäßigen Verfahrensweise allen städtischen Institutionen erteilt“.
Vor diesem Hintergrund stieß die Kehrtwende bei der Opposition auf Unglauben: SPD-Ratsfrau Nicole Palm ist sich sicher, dass es nach wie vor zumindest mündlich die Anweisung gebe, El Kurdi zu boykottieren. Die neueste Stellungnahme sei außerdem „in sich widersprüchlich“. Ratsfrau Heiderose Wanzelius (Bürgerinitiative Braunschweig): „Wenn man die Messlatte ganz hart anlegt, könnte man die neue Erklärung als ‚gelogen‘ bezeichnen“. Auch der grüne Fraktionschef Holger Herlitschke fand die neuere Erklärung „überhaupt nicht glaubwürdig“. Vielmehr sei der schon länger andauernde Boykott der Verwaltung gegen El Kurdi „ziemlich offensichtlich“. Kulturdezernent Laczny führte als Gegenbeweis El Kurdis Stück „Ohja Troja“ an, das die Stadt im Jahr 2001 gefördert habe. Der letzte Vorhang von „Ohja Troja“ fiel allerdings vor Hoffmanns Amtsantritt am 1. November 2001.
Hartmut El Kurdi erklärte gestern, er habe seit „Ohja Troja“ vor allem deshalb keine städtischen Fördermittel beantragt, weil ihm hinter vorgehaltener Hand bedeutet worden sei, solche Anträge seien ohnehin sinnlos. Die Bürger, die für ihn protestierten, zogen im Laufe der Sitzung vor die Türen des Ratssaals und untermalten die Debatte mit ihrem Gesang. Auch auf den Zuschauertribünen saßen Teilnehmer der Kundgebung, beeinflussten die Diskussion der Abgeordneten aber nur gelegentlich durch Beifall oder Buhrufe. „Wir wollen hier nicht als Randaletruppe, sondern als demokratische Bürger auftreten“, sagten die Organisatoren.