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Archiv-Artikel

Warschauer-Punk-Pakt

WIEDERVEREINIGUNG Am Freitag spielten die DDR-Punks von L’Attentat zusammen mit ihren polnischen Kollegen Dezerter in Originalbesetzung in Leipzig

„Das kann man sich doch nicht entgehen lassen!“ ruft jemand inmitten der schwarzbunten Menschentraube am Freitagabend vor dem Leipziger UT Connewitz. Schnell ist das Konzert der legendären Ostpunkbands L’Attentat, Dezerter und Der Schwarze Kanal ausverkauft, zudem, weil auch noch der Leipziger Punk-Chor angekündigt ist.

Das Konzert in dem alten Lichtspieltheater ist tatsächlich eine einmalige Sache: Unter dem Motto „Warschauer Punk Pakt revisited“ kommt es für einen Abend zur Wiedervereinigung der Leipziger Kultband L’Attentat. Anlässe gibt es dafür gleich zwei: Das 30-jährige Jubiläum der Bandgründung und den 25. Jahrestag der Auflösung, der etwa zeitgleich die Entstehung der Nachfolgeband Der Schwarze Kanal datiert.

Es ist das erste Mal, dass L’Attentat mit nahezu allen Mitgliedern der Originalbesetzung wieder gemeinsam eine Bühne betritt. Die Band war 1984 aus dem Umfeld von Wutanfall hervorgegangen, einer der ersten Punkbands in der DDR. Mit kompromisslosem Sound und deutlich systemkritischen Texten gerieten L’Attentat schnell in Konflikt mit den Behörden. Die Stasi horchte mit.

Erst Stasi, dann Knast

Knastaufenthalte prägten die Bandgeschichte: So landete L’Attentat Sänger Bernd Stracke wegen „illegaler Kontaktaufnahme mit Westmedien“ (einem Punk-Fanzine) im Gefängnis und wurde im Anschluss an die Haft nach Westdeutschland abgeschoben.

Nun wird gefeiert: Der Chor eröffnet den Jubiläumsabend, singt von Pogo und Punkmädchen und nimmt a cappella einige der Songs der Bands vorweg, die später die Bühne betreten. Ein geschätztes Viertel der Anwesenden dürfte alt genug sein, um die Musik noch aus Vorwendezeiten zu kennen. Ganz selbstverständlich stapeln sich am Merchandise-Stand aber auch neue Platten: Das neue Album von Dezerter oder die aktuelle Neuauflage der ersten und einzigen L’Attentat LP „Made in GDR“, die 1987 zunächst auf dem unabhängigen Punklabel X-Mist-Records in der BRD erschien, nachdem es geglückt war, Aufnahmen von L’Attentat auf Kassette aus der DDR zu schmuggeln. Vor 25 Jahren hätte man solche Alben in Leipzig vergeblich gesucht.

Mit Dezerter aus Warschau betritt dann eine Band die Bühne, die über den gemeinsamen Kultstatus in Szenekreisen hinaus einige Parallelen zu L’Attentat aufweist. Sie gründeten sich 1981 als SS-20 mit dissidentischer Haltung in der Volksrepublik Polen und spielen seither unaufhaltsam – straight, laut und raubeinig. Es ist ihr Konzertdebüt in Leipzig. „Wir singen auf Polnisch, aber wir hoffen, dass in der Musik genug Energie für euch ist, um uns zu verstehen“, ihr Wunsch erfüllt sich. Mit verzerrter Gitarre, heftigem Schlagzeugeinsatz und markantem Brüllgesang schleudert das Trio seine Musik dann auch wirklich weit über jede Sprachbarriere hinaus.

Als Der Schwarze Kanal die Bühne betritt, kommt endlich Bewegung ins Publikum, ständig fliegen Körper umher, Fäuste werden geballt. Zu sechst steht die Leipziger Band auf der Bühne. Vier Gitarren und vier Stimmen erzeugen eine brachiale Wand aus Krach. Bei Songs wie „Flüstern und Schreien“, „Solidarität“ oder dem „Mauerlied“ flippt das Publikum aus: Dutzende brüllen Zeilen wie „Deutsch bleibt deutsch, die Mauer muss weg“ mit. Es wirkt aber weder nostalgisch, noch deutschtümelnd. Als sich die Besetzung zu L’Attentat vervollständigt und Bernd Stracke die Bühne betritt, wird die Stimmung richtig emotional. Er erzählt kurz und trocken von Stasi und Knast bringt auf den Punkt, was damals wichtig war: „Es brauchte keine langen Texte, es brauchte eine Aussage.“ Und dann singen sie: „Jetzt erst Recht“, unter lautstarkem Mitsingen „Friedensstaat“ und schließlich, als alle im Saal mehr taumeln als tanzen, den Wutanfall-Klassiker „Leipzig in Trümmern“. Der Protest hat nichts von seiner Kraft verloren und er trifft auf verwandte Überzeugungen im Jetzt und entwickelt neue Energie. Schließlich ruft L’Attentat den Chor auf die Bühne und alle zusammen stimmen unter der großen, fast bebenden Betonkuppel des alten Kinos „Ohne Sinn“ an, zum dritten Mal an diesem Abend: „Aber ich will mich nicht befehlen lassen / Weil ich doch ein Mensch bin“. Glückliche Gesichter, wohin man blickt.

TABEA KÖBLER