: Aufs Engste vertraut
ADOPTION Der wichtigste Berater des FDP-Chefs Philipp Rösler ist sein Vater, zu dem er im Alter von neun Monaten aus dem Vietnamkrieg kam
■ Uwe Rösler: Der Berufssoldat – damals SPD-Mitglied und gegen den Vietnamkrieg – adoptiert in den Siebzigern ein vietnamesisches Waisenkind. Nach Trennung von seiner Frau zieht er Philipp alleine groß, der Jahrzehnte später FDP-Chef und Vizekanzler wird.
■ Der Termin: Der Vatertag wird in Deutschland an Christi Himmelfahrt begangen, dieses Jahr am 2. Juni. Dass Väter an einem bestimmten Tag gefeiert werden oder sich selbst feiern, soll in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen sein. In den USA ist der Vatertag seit 1972 sogar offizieller Feiertag – immer am dritten Sonntag im Juni.
VON HEIKE HAARHOFF
Sie standen vor dem Spiegel, Vater und Sohn. Die Stirn, die Augen, die Nasen, die Münder. Nichts ähnelte sich. Wie auch? Wenn der eine Kriegswaise aus Vietnam ist und der andere sein Adoptivvater aus Norddeutschland.
Der Sohn war gerade eingeschult worden. Oder vielleicht doch noch im Vorschulalter? Der Vater, in diesem Jahr siebzig, erinnert sich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt, heute, gut drei Jahrzehnte später. An den Moment, als er, Uwe Rösler, seinem Sohn Philipp offenbarte, dass er nicht sein leiblicher Vater ist. Aber was er damals seinem Adoptivkind sagte, das wisse er noch genau: „Jetzt musst du dir überlegen, ob du mich als Vater haben willst.“
Was für eine Frage. Sie überfordert jedes Kind, natürlich. Zu entscheiden, ob es dieses Leben behalten möchte, das doch gar keinen Vergleich zulässt, weil es das einzige ist, an das es sich erinnern kann. Und doch ist diese Frage der Schlüssel zu dem Geheimnis um diese beiden äußerlich so ungleichen Menschen: die Beziehung zwischen Philipp Rösler, 38, dem neuen FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler vietnamesischer Herkunft, und seinem Adoptivvater Uwe Rösler, einem ehemaligen Berufssoldaten aus Niedersachsen, der sich in den Siebzigerjahren entschloss, seinen angenommenen Sohn allein großzuziehen. Er ist bis heute dessen wichtigster Berater, und die Beziehung ist auch deswegen so eng, weil sie nie eine selbstverständliche war.
Berichte der Kampfpiloten
Uwe Rösler sagt: „Ich habe ihn immer als Partner gesehen, auf Augenhöhe, ich musste mich schließlich auf ihn verlassen können.“ Philipp Rösler sagt: „Er ist mein Vorbild. Wenn Sie allein großgezogen werden, werden Sie früh zur Selbständigkeit erzogen. Insofern sind Sie auch gar nicht im Zwang, sich abkapseln zu müssen.“
Im Jahr 1972 reist Uwe Rösler auf eine Fortbildung für Militärpiloten in die USA. Er lernt südvietnamesische Kampfpiloten kennen und ist schockiert über das, was sie von Kriegswaisen erzählen. Wieder zurück in Niedersachsen beschließen er und seine Frau, dass nach zwei leiblichen Töchtern das dritte Kind ein Adoptivsohn aus einem vietnamesischen Waisenhaus sein soll.
Heute gehört dieses dritte Kind zu den Mächtigen, und Uwe Röslers Einfluss auf Philipp Rösler ist groß: Umgang mit politischen Kontrahenten, Grenzen persönlicher Freiheit, Energie- oder Familienpolitik, wenn man erst mit dem Sohn und dann mit dem Vater spricht, wird klar, dass viele der Werte, die der neue FDP-Chef gerade seiner Partei verordnen will, Höflichkeit, Harmoniebedürfnis und Konfliktscheue inklusive, seinem persönlichen Erleben geschuldet sind. Ein Beispiel? „Familie ist etwas Soziales, nichts Formales. Es hat etwas mit Verantwortungsgemeinschaft zu tun, sie kann vielfältig sein im Erscheinungsbild, hat aber die eine Gemeinsamkeit, dass man Verantwortung füreinander übernimmt.“ Und dann, fast trotzig: „Mein Vater und ich, wir waren zusammen eine Familie. Das hat gereicht.“
Das musste reichen. Über viele Jahre ist Uwe Rösler die einzige Konstante in Philipp Röslers Leben als Waisenkind, das im November 1973 aus Vietnam ausgeflogen wird und mit neun Monaten, elf Pfund Körpergewicht und Hospitalismusschäden zu den Röslers ins niedersächsische Bückeburg kam. Uwe Rösler investiert seinen Jahresurlaub, er, ein Berufssoldat, widmet sich fortan dem Adoptivsohn.
Als er vier Jahre alt ist, trennen sich die Eltern. Ein weiterer Verlust in diesem Leben. Die älteren, leiblichen Töchter gehen mit der Mutter, das Adoptivkind aus Vietnam bleibt beim Vater. So einen will man nie verlieren, so einen verrät man nicht, mit so einem legt man sich nicht an. So einen behandelt man wie ein kostbares Juwel: Als Philipp Rösler erfährt, dass die taz seinen Vater, den er selbst als politischen Berater definiert, am Telefon befragt hat, beschwert er sich: eine unentschuldbare Einmischung in seine Privatsphäre.
Wie nahe kann man einem Kind sein, das nicht das eigene ist? Uwe Rösler sagt: „Leiblich oder nicht leiblich ist die falsche Kategorie. Man muss gucken, wer ist dieses Menschlein, das einem gegenübersitzt.“
Sowohl bei dem Gesprächstermin mit dem Minister als auch in dem langen Telefonat mit dem Pensionär fallen zuweilen Sätze, die seltsam hart klingen. Philipp Rösler sagt über seinen Weg nach Deutschland: „Ich bin geschickt worden, und dann musste man mich nehmen.“ Uwe Rösler sagt: „Die Leute müssen für sich selbst haften und nicht darauf warten, dass andere die Rechnung für sie bezahlen.“ In diesem Grundsatz habe er den Jungen erzogen.
Partei für den Sohn
Als Philipp Rösler als Jugendlicher mit den Jungliberalen zu sympathisieren beginnt, ist der Vater vor allem erleichtert, dass sein Sohn – die beiden waren kurz zuvor nach Hannover umgezogen – offenbar Anschluss gefunden hat bei Jugendlichen, „die zumindest nicht übermäßig tranken oder sonst wie extrem waren“. Der SPD hat Uwe Rösler zu diesem Zeitpunkt längst die Mitgliedschaft gekündigt – wegen deren Bekenntnis zum Atomausstieg. Mittlerweile ist er seinem Sohn in die FDP gefolgt.
Nichts darf sie trennen.