: Aggressionsabbau am Spielfeldrand
Jedes Wochenende gibt es Zoff auf dem Fußballplatz: Jugendliche Spieler, Eltern und Trainer beharken sich gegenseitig oder den Schiedsrichter. Mathias Ramsauer, der neue Präventionsbeauftragte des Berliner Fußball-Verbands, bekämpft die Gewalt
VON JOHANNES KOPP
Einen solchen Satz hört man eher selten: Wie eine „graue Eminenz“ wolle er tätig sein, sagt Mathias Ramsauer. Also wie eine „einflussreiche Persönlichkeit, die als solche kaum nach außen in Erscheinung tritt“. So jedenfalls definiert es der Duden.
Über Ramsauers Einfluss lässt sich noch nicht viel sagen. Der 57-Jährige ist erst seit Februar beim Berliner Fußball-Verband (BFV) für das „Präventionsprojekt“ zuständig, das insbesondere der wachsenden Gewaltbereitschaft im Jugendspielbetrieb entgegenwirken soll. Um Unscheinbarkeit ist er allerdings bereits bemüht. Zu einem Fototermin muss er erst überredet werden. Und Ramsauer stellt eine Bedingung: „Schreiben Sie keine Geschichte über meine Person.“
Seine Tätigkeit, nicht er soll im Mittelpunkt stehen. Denn das würde seine Arbeit erschweren. Ramsauer will bei seinen Spielbeobachtungen unerkannt bleiben. Er möchte keine falsche Realität vorgespielt bekommen, sondern sich von der Situation auf Berlins Fußballplätzen ein Bild machen. „Ganz allgemein ist die Schwelle der Gewaltbereitschaft gesunken“, stellt Ramsauer fest, der lange Hauptschullehrer in Neukölln war.
Alarmierende Zahlen
Vor sechs Jahren meldete der BFV alarmierende Zahlen: Im Jugendbereich zählte man in einer Saison über 70 Spielabbrüche. Meist waren Gewalttätigkeiten vorausgegangen: Entweder prügelten sich Spieler und Eltern untereinander oder der Schiedsrichter wurde angegriffen.
Die Hintergründe der Auseinandersetzungen sind komplex. Neben der generell erhöhten Gewaltbereitschaft spielen Fremdenfeindlichkeit, religiöse und ethnische Rivalitäten sowie Ost-West-Animositäten eine Rolle. Zuweilen überlappen sich die Konfliktlinien.
„Begegnungen zwischen türkischen Westclubs und deutschen Ostvereinen sind besonders brisant“, weiß Gerd Liesegang. Er ist Vizepräsident des BFV und beschäftigt sich schon länger mit dem Gewaltphänomen auf der Breitensportebene. Immer wieder hat er lautstark professionelle Hilfe gefordert.
Doch nachdem der Deutsche Fußball-Bund mit staatlicher Unterstützung die Hooliganszene der Profivereine in den Griff bekommen hat, denkt man nun vornehmlich über Projekte für Regional- und Oberligavereine nach. Vor allem Fans ehemaliger DDR-Traditionsvereine sorgten zuletzt für Randale.
„Die untersten Amateurklassen werden mit ihrem Problem allein gelassen“, beklagt Liesegang. In Berlin, räumt er ein, genieße man aber im bundesweiten Vergleich eine vorbildliche Unterstützung – siehe Mathias Ramsauer, der dem BFV 20 Stunden in der Woche zur Verfügung steht. Finanziert wird seine Präventionsarbeit von der Senatsverwaltung für Bildung und Wissenschaft. Liesegang weiß das zu schätzen, sagt aber auch: „Mit 20 Stunden können Sie nicht die Welt verändern.“ Der Unterbau im Amateurfußball ist breit und unübersichtlich. Jedes Wochenende werden in Berlin gut 1.600 Begegnungen ausgetragen – 1.000 davon im Jugendbereich.
Ramsauer sieht sich nicht überfordert. „Ich sehe schon Land“, sagt er tapfer, „schließlich hat die AG Fairplay des BFV eine Menge ehrenamtliche Spielbeobachter.“ 20 Ehrenamtliche stehen ihm zur Verfügung. Gerd Liesegang gibt zu bedenken, dass man diese Leute an Wochenenden nicht regelmäßig einsetzen könne. „Eigentlich braucht jeder Bezirk jemanden wie Herrn Ramsauer – auf voller Stelle.“
Ramsauer geht seinen Job optimistisch an. Seine Aussagen lassen unschwer den einstigen Schulrektor erkennen: „Wenn alle ihre pädagogische Arbeit wahrnehmen, können wir die Probleme lösen.“ Auf einem Grundschulturnier, erzählt er, habe er kürzlich einen Trainer beiseitegenommen. „Der hat nach einem verlorenen Spiel nur auf seinen Jungs rumgehackt. Es fiel nicht ein einziges positives Wort. Wie soll man da den Umgang mit Niederlagen lernen?“
Insbesondere die Eltern der Jungfußballer ließen oft pädagogisches Gespür vermissen. Kulturübergreifend, so Ramsauer, erzeugten sie mit ihrem Ehrgeiz ungemeine Aggressionen am Spielfeldrand. Häufig würden sie auf dem Rücken ihrer Kinder den Erfolg anstreben, den sie selbst nie hatten. Wer vermeintlich die Karriere ihrer Kinder behindere, den zögen manche sogar mit Gewalt zur Rechenschaft. Solche Verhaltensweisen sind fatal, wie man bei den Jugendlichen sieht: Sie benehmen sich auf dem Platz genauso aggressiv wie die elterlichen Vorbilder.
Schwerpunkt Elternarbeit
Hierhin legt Ramsauer einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Er organisiert Elternabende in den Vereinen und versucht, Einfluss auf die Stimmung am Spielfeldrand zu nehmen. Sicher: Gerade die Eltern, die man erreichen wolle, kämen zu solchen Veranstaltungen meist nicht, gibt Ramsauer zu. Doch er hofft, dass seine Denkanstöße durch die Anwesenden weitergetragen werden. Angesichts der 55.000 jugendlichen Vereinsfußballer in Berlin hat er keine andere Wahl.
Ramsauer, der „frischen Wind“ in den Verband bringen will, ist bekennender Basketballfan, mit Fußball hatte er bisher wenig am Hut. Ein Vorteil, wie er selbst findet. Er sei von keiner Seilschaft abhängig. BFV-Vize Liesegang freut sich über den frischen Wind – ein stetiger wäre ihm aber lieber: „Ich bin glücklich, dass wir Herrn Ramsauer haben, aber es ist bedauerlich, dass wir Personal immer wieder neu anlernen müssen.“
Das „Präventionsprojekt“ ist nämlich nicht neu. Es basiert auf den Ideen des „Präventionsmodells Berliner Jugendfußball“, das der Verband 2001 entwickelt hat. Von staatlicher Seite wurde es nur unzuverlässig unterstützt. Zuerst kam für zwei Jahre Geld vom Senat, eine Anschlussfinanzierung gab es nicht. Nach einem Jahr Pause finanzierte der Bund das Projekt für zwei Jahre, um dann wiederum die Zahlungen einzustellen. Nach einem erneuten Jahr Pause konnte nun die Stelle von Mathias Ramsauer eingerichtet werden.
Die unregelmäßigen Zuwendungen verhindern nicht nur eine effiziente und kontinuierliche Arbeit, sie sind auch unökonomisch. Wie Liesegang berichtet, wurde Ramsauers Vorgängerin aus öffentlichen Mitteln als Mediatorin ausgebildet. Nach dem Auslaufen des Projekts kann nun niemand mehr davon profitieren. Die Frau hat längst eine andere Beschäftigung gefunden.
Dennoch gibt es auch positive Tendenzen. Im Jugendbereich wurden in der letzten Saison mit 35 Spielabbrüchen nur halb so viele wie 2001 notiert. Inwieweit das ursächlich mit dem Präventionsprojekt zu tun hat, lässt sich schwer sagen. Liesegang glaubt aber an einen Zusammenhang. Er verweist auf eine gewisse Kontinuität: Auf Basis des Ehrenamtes, sagt er, habe man in den letzten Jahren die Präventionsarbeit, so gut es ging, aufrechterhalten.
Auch die Finanzierung von Ramsauers halber Stelle ist befristet. Laut BFV-Geschäftsführer Dirk Brennecke ist sie auf drei Jahre angelegt. Sicher ist auch das nicht. Thomas Poller, Berlins Schulsportreferent, schränkt ein: „Das ist so angedacht. Die Finanzierung muss aber jedes Jahr neu bewilligt werden.“