: THEATER
ESTHER SLEVOGT
Na gut. Das Internet und die Liebesanbahnungstechniken, die sich dort etabliert haben, gibt auch den Theatermachern gelegentlich zu denken. Nicht immer kommt Erhellendes dabei heraus. Siehe der kürzliche und schnell wieder verschwundene Theaterunfall des Indiscretins Dries Verhoeven „Wanna Play?“, der mit einer Dating-App sein Unwesen trieb. Aber wenn Leute wie der Christoph Marthaler sich der Sache annehmen, kann man vielleicht Hoffnung haben. „Tessa Blomstedt gibt nicht auf. Ein Testsiegerportal“, hat er sein neues Stück überschrieben, das am 15. 10. in der Volksbühne uraufgeführt wird. Es geht um Verwirrungen, die das Liebesangebot aus dem Daten-Orbit verursachen. Dabei handelt es sich um keine konkrete Person, vielmehr um eine Art Hybridgeschöpf, wie die Ankündigung vermuten lässt, das (als eine Art Verwandte von Virginia Woolfs „Orlando“) den durch die Epochen sich wandelnden Umgang mit der Kommunikation zwischen Liebenden (und solchen, die es werden wollen) registriert. Was einst mit Tinte geschriebene und Briefe waren und wochenlang ersehnte Begegnungen, verwandelte sich vor ihren Augen in Schreibmaschinenpost, Telefonverabredungen, Diskobekanntschaften, Club-Dating und Mailkontakt. Wer soll da noch den Herzschlag hören? Den eigenen und den des Geliebten erst recht. (Volksbühne: „Tessa Blomstedt gibt nicht auf“, Premiere: 15. 10., 19.30 Uhr)
Algorithmen, die zunehmend Einfluss auf das Leben nehmen, beschäftigen auch die neue Arbeit des Performance-Kollektivs „Turbo Pascal“, die am 9. 10. in den Sophiensælen herauskommt. „Auch wenn es mancher als Kränkung des Individuums versteht, Teil einer Massengesellschaft zu sein“, schreiben Turbo Pascal in ihrer Projektbeschreibung, „so liegt doch das Problem der Masse nun einmal genau darin – nur mit Hilfe von Gefäßen kann man mit ihr umgehen: Bezirke und Busladungen, Konsumenten-, Interessen-, oder Blutgruppen, Gehalts- oder Schulklassen.“ Deswegen wollen die Performer Alltagsabläufe in Algorithmen und Computerscripts in Erzählungen übersetzen sowie die Poesie der Quelltexte testen. (Sophiensæle: „Algorithmen. Eine biografische Formensammlung“, 9., 10. & 11. 10, jeweils 21 Uhr).
Die Trojanerin Cassandra brauchte noch keine Algorithmen, um kommende Katastrophen vorauszusagen. Was, wenn in unserer zukunftshörigen Wissensgesellschaft eine wie Cassandra lebte, vielleicht in Wedding, Mitte oder Neukölln? Dieser Frage geht die neue Produktion der Neuköllner Oper auf den Grund, die am 9. 10. uraufgeführt wird. (Neuköllner Oper: „Baazar Cassandra“, 9., 11. & 12. 10., jeweils 20 Uhr).