: Acht Quadratmeter Glück im Elend
„Ich möchte nicht herumsitzen, weil ich weiß, dass mein Talent in meinen Händen liegt“: Honorattars ganzer Stolz ist ihr Frisiersalon „Babes“ inmitten von Khayelista, dem ärmsten Slum von Kapstadt
■ Südafrikas Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 25 Prozent, inoffiziell bei 35 bis 40 Prozent. Von 45 Millionen Südafrikanern leben 42 Prozent unter dem Existenzminimum. Die meisten sind aufgrund ihres schlechten Bildungsniveaus im Niedriglohnsektor als Sicherheitswärter, Minenarbeiter, Bauarbeiter oder Putzpersonal beschäftigt. Die 5 Millionen afrikanischen Immigranten im Land üben noch mehr Druck auf den Arbeitsmarkt aus. Zumeist illegal im Land und ohne Arbeitspapiere, konkurrieren sie mit den Armen Südafrikas um Beschäftigung im Niedriglohnsektor – Jobs, die sogar bei Vollbeschäftigung so schlecht vergütet werden, dass der Alltag ein Überlebenskampf bleibt.
AUS KAPSTADT ELENA BEIS
Es wird dunkel in Khayelista. Der Kapstädter Nachtwind vertreibt die gestaute Sommerhitze aus den glühenden Wellblechwürfeln des Armenvororts. Das notorische Geschrei aus der Shebeen, der illegal betriebenen Kneipe des Viertels, verstummt, und nur noch Fernsehgemur- mel dringt aus den umliegenden Hütten. Jetzt endlich lässt sich Honorattar auf den Plastikstuhl in der Mitte ihres acht Quadratmeter großen Reiches fal- len, ihre Beine von dem langen Tag schwer, die Gedanken um Geld kreisend, aber auf ihrem Gesicht ein zufriedenes Lächeln.
Honorattar hat ihre Oase „Babes“ genannt. Es ist ihr kleiner, bescheidener Frisiersalon, inmitten des ärmsten schwarzen Slums vor Kapstadt. „Ich habe mit ‚Babes‘ vor acht Monaten angefangen“, sagt sie, während sie am nächsten Morgen ihrem Nachbarn für umgerechnet 1,50 Euro etwas umständlich das Haar rasiert. „Es war nicht leicht. Ich wusste nicht, wie man ein Geschäft führt, ich wusste nicht, wie man Haare macht, aber ich hab’s probiert.“
„Babes“ ist ein lichtdurchfluteter Raum, zusammengenagelt aus Holzpfählen, Fenstern unterschiedlicher Form und Farbe und weiß angestrichenen oder mit Alufolie drapierten Wellblechwänden. Den Sandboden bedeckt ein zerschlissener, aber sauberer PVC-Belag mit Holzdielenmuster. Ein handbeschriebenes Stück Pappe macht neben der weißen Eingangstür auf „Babes“ aufmerksam. Aus Modekatalogen ausgeschnittene Bilder verzieren die Wände. Auf einem langen Holztisch stehen zwei Spiegel, daneben ein kleines Plastikregal mit Handtüchern, Handschuhen, Haarklammern und alten Bürsten. Für die Kunden liegt ein Stoß Frauenzeitschriften aus. Setzen kann man sich auf alte Holzhocker oder Plastikstühle. Es ist sehr gemütlich hier.
Und dabei sah es vor ein paar Monaten noch sehr düster um Honorattar aus. Honorattar ist 24 und arbeitet als Putzfrau in dem Haus einer wohlhabenden Familien. Sie hat einen 6-jährigen Sohn, den sie nur einmal im Jahr sieht. Sie vermisst ihn sehr, hat aber keine andere Wahl, als ihn bei ihrer Mutter in ihrem Heimatdorf zurückzulassen, 1.500 Kilometer von Kapstadt weg. Wo sie herkommt, gibt es keine Jobs. Der Vater des Kindes hat sie verlassen, und Honorattar muss ihren Sohn alleine durchbringen. Schulbildung ist in Südafrika sehr teuer. Die Schuluniformen sind teuer. Die Bücher. Das Essen. Alles in Südafrika ist teuer, vor allem, wenn man zu zweit mit 150 Euro im Monat auskommen muss.
Honorattar gelingt es in den letzten Jahren dennoch, Geld zu sparen und neben dem Putzen in die Schule zu gehen, um ihr Abitur nachzuholen – und eines Tages eine bessere Zukunft zu haben. Drei Mal fällt sie durch die Prüfung. Wenn sie leise davon spricht, wirkt sie sehr streng mit sich. Sie nimmt einen allerletzten Anlauf für die Prüfung. Sie lernt mehr denn je und investiert ihr weniges Geld in Nachhilfestunden. Sie legt die Prüfung ab – und ist sich sicher, es diesmal geschafft zu haben. Aber die Behörden teilen ihr am Ende mit, man könne ihre Prüfungsunterlagen nicht mehr finden. Honorattar ist machtlos, wütend und am Boden zerstört. So machtlos wütend, dass sie beim Erzählen das Haareschneiden unterbricht, ihre Arme um ihren mächtigen Körper verschränkt und bedeutungsschwer so stehen bleibt. Als sie an diesem vertrackten Tag nach Hause kommt, findet sie dort nichts mehr vor. Jemand ist in ihre Hütte eingebrochen und hat alles mitgenommen: Kleidung, Wasserkocher, Bettwäsche – sogar ihr Besteck.
Honorattar steht vor dem Nichts. Da fasst sie den Plan, etwas Eigenes zu schaffen. Etwas, was sie mit ihren Händen machen kann. Etwas, was ihr mehr liegt als ein Abitur.
Honorattar steckt das Geld von ihrem rasierten Nachbarn ein, poliert ihren Second-Hand-Rasierer und verpackt ihn beim Erzählen fein säuberlich in eine Schachtel: „Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, habe ich mein Geld zuerst versteckt. Am Abend bin ich dann herumgegangen, um nach Zinkblech zu suchen und einer Tür und einem Fenster. Ich habe ein Zinkblech neben meinem Zimmer aufgestellt. Und dann noch eins und noch eins und noch eins. Dann war der Raum fertig. Danach habe ich Pfähle gekauft, dann den Tisch, dann die Spiegel, dann den Schrank. Dann das Spülbecken. Es war nicht einfach.“
Nur sechs Stühle
Honorattar zeigt auf ihre sorgfältig gefalteten Handtücher: „Ich habe nur drei davon. Aber ich komme zurecht, weil ich sie jeden Abend wasche. Dann lege ich sie heraus zum Trocknen, und am Morgen lege ich sie wieder herein. Es ist nicht leicht. Manchmal kommen viele Leute und ich habe nur sechs Stühle. Aber ich bemühe mich. Ich bemühe mich, so hart ich kann. Und am Ende gewinne ich.“
Besonders stolz demonstriert Honorattar das Spülbecken in ihrem Salon. Das Wasser fließt aus einem an der Wand befestigten Wasserhahn in eine Spüle und fällt durch den Abfluss im Spülbecken in einen darunter stehenden Eimer. Auch das hat Honorattar ganz alleine konstruiert: „Ich habe an den Wasseranschluss draußen Rohre verlegt, und den Wasserhahn und das Spülbecken für 120 Rand (12 Euro) gekauft und dann das Wasser nach innen gebracht.“ Fließendes Wasser ist in Khayelista Luxus. In der Regel teilen sich Hunderte Einwohner einen einzigen öffentlichen Wasserhahn.
Als Honorattar beschlossen hat, „Babes“ zu bauen, hatte sie noch keine Ahnung vom Haareschneiden. Da hat sie ihre Arbeitgeberin gebeten, ihr ein paar grundlegende Dinge über Haare zu erklären: „Ich bin zu keiner Schule gegangen, um Frisieren zu lernen, ich mache es einfach. Meine Arbeitgeberin erklärt mir immer wieder ein paar Dinge. Sie sagt: ‚Du musst das so und so machen.‘ Und dann probiere ich es aus.“ Auch bei ihrem Inventar hat sich Honorattar bei der Familie, für die sie arbeitet, Hilfe geholt. Sie hat sie um alte Kämme, Bürsten und Rasierer gebeten. Die Familie hat ihr auch ihre ersten Flaschen „Relaxer“ spendiert, das beliebteste Haarmittel bei ihren Kunden. Mit einer „Relaxer“-Kur lässt sich krauses Haar leichter glätten.
Lernen durch Praxis
Die Produkte bereiten Honorattar gerade am meisten Kopfzerbrechen. Sie arrangiert die Plastikbehälter immer wieder dekorativ um, als handele es sich dabei um teures Porzellan. „Ich habe zuerst kleine Flaschen Relaxer gekauft und versucht, drei Kunden mit einer Flasche zu machen. Aber es ist nicht leicht, ein paar Kunden haben lange Haare und ein paar kurze.“ Am Anfang hat sie für drei Kunden eine ganze Flasche Relaxer für 150 Rand (15 Euro) aufgebraucht, aber nur jeweils 30 Rand (3 Euro) kassiert. Die meisten Dinge über ihr Geschäft lernt sie langsam durch die Praxis: „Jetzt verlange ich 35 Rand (3,50 Euro) für Relaxer, 10 Rand (1 Euro) für Waschen und 15 Rand (1,50 Euro) für eine Kur. Aber es ist nicht leicht, weil man sehr viele Flaschen in einem Salon braucht und die Produkte sehr teuer sind.“ Honorattar fährt zum Einkaufen immer dorthin, wo die Produkte gerade im Angebot sind.
Vor ein paar Monaten hat Honorattar bei null angefangen, und heute hat sie nicht nur einen Salon, sondern auch regelmäßig Kunden. Mal kommt auch keiner, mal kommen mehr, als in „Babes“ überhaupt Platz haben: „Wenn ich in einen Laden gehe, dann mache ich für mich Werbung.“ Sie führt vor, wie sie das macht: „Ich sage: ‚Wenn du etwas mit deinem Haar machen möchtest, musst du zu mir kommen.‘“
Langer Tag
Honorattars Tag beginnt um 5 Uhr früh, ab 7 Uhr putzt sie in Kapstadt. Dort verdient sie 140 Rand (14 Euro) pro Arbeitstag. Davon gehen 40 Rand für das Fahrgeld drauf. Wenn sie um 16 Uhr wieder zu Hause ist, kümmert sie sich um „Babes“, mindestens bis 21 Uhr.
Das lange Arbeiten macht ihr nichts aus: „Ich genieße meinen Haarsalon. Wenn ich keinen Kunden habe, öffne ich die Tür und setze mich auf diesen Stuhl, weil ich sehen will, dass jemand kommt. Ich habe das Gefühl, dass ich hier etwas bewirken kann. Ich putze die ganze Zeit. Und wenn es sauber ist, dann sehe ich nicht, dass es sauber ist, und putze noch einmal.“ „Babes“ ist tatsächlich blitzblank. Wenn man durch Khayelistas dreckige, unbefestigte Straßen läuft, an vielen verzweifelten Gesichtern vorbei, kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich hier so ein positiver, sauberer Ort verbirgt.
„Ich bin sehr stolz“, sagt Honorattar und schaut sich dabei selbst im Spiegel an: „Ich will eines Tages einen großen Salon haben. Ich habe tagsüber einen Job, aber mein Salon ist meine Karriere. Ich möchte etwas mit meinen Händen tun. Ich möchte nicht herumsitzen, weil ich weiß, dass mein Talent in meinen Händen liegt. Man muss etwas tun, um etwas zu bekommen.“