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Archiv-Artikel

Rheinkalk gräbt sich eine Grube

der kalkbuchenwald

Einem Urwald am Rande von Hagen droht der Kahlschlag. Ein multinationaler Baustoffkonzern will das unter dem Kalkbuchenwald schlummernde Dolomit abbauen. Bis vor kurzem standen Umweltschützer scheinbar auf verlorenem Posten. Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet

AUS HAGEN LUTZ DEBUS

Die mächtigen Stämme der bis zu 300 Jahre alten Buchen stehen auf einem grünen Teppich. Jetzt, im Mai, lassen die Bäume noch genug Licht durch, damit auf dem Boden etwas wachsen kann. „Eine nicht ersetzbare Vielfalt an seltenen Pflanzen“, sagt Martin Schlüpmann. Der Biologe zeigt auf ein unscheinbares Kraut mit weißen Blüten. „Das Weiße Waldvögelein ist eine wild wachsende Orchidee. Die ist im Raum Hagen sehr selten geworden.“ Viele der hier im Waldgebiet nahe dem Hagener Ortsteil Haßley vorkommenden Arten könnten woanders nicht überleben. „Weil der Boden sehr kalkhaltig ist“, erklärt Biologe Schlüpmann. „Deswegen nennt man eine solche Landschaft Kalkbuchenwald.“

Die Artenvielfalt in dem 21 Hektar großen Waldgebiet ist eine biologische Attraktion. Aber auch der unter dem Waldboden schlummernde Kalk weckt Begehrlichkeiten. Am Rande des Haßleyer Waldes klafft ein über 100 Meter tiefes Loch. Seit dem Jahr 1909 wird in der „Donnerkuhle“ nicht nur Schotter für den Straßenbau abgebaut, sondern auch das darunter liegende Dolomit. Dieses Mineral ist im Raum Hagen besonders magnesiumhaltig und deshalb sehr gefragt. Man braucht das Gestein, um hitzebeständige Baumaterialien herzustellen. Der weltweite Stahlboom der letzten Jahre sorgte dafür, dass viele neue Hochöfen und Stahlveredelungsfabriken gebaut wurden und erzeugte so eine große Nachfrage nach dem wertvollen Stoff. Die Betreiberfirma des Steinbruchs, die Rheinkalk, beantragte deshalb die Ausweitung der Abbaufläche. Ausgerechnet der Kalkbuchenwald, der gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union als besonders geschütztes Gebiet ausgewiesen ist, soll den Sprengladungen und Baggern der Firma Rheinkalk zum Opfer fallen.

Martin Schlüpmann hebt ein großes Blatt von einem Gewächs an. Darunter sind unzählige winzige Blüten zu sehen. „Der Vielblütige Weißwurz ist fast nur auf so einem basenreichen Boden zu finden.“ Eine Attraktion nach der anderen zeigt der 48-jährige Biologe. Wilde Maiglöckchen, Goldnesseln, Nickendes Perlgras und Waldmeister finden sich hier auf einem Areal von nur wenigen Quadratmetern. Sicherlich seien nicht alle diese Pflanzen gefährdet, räumt der Biologe ein. Doch solch ein Kalkbuchenwald biete nun mal ein seltenes ökologisches System. Nicht jeder Wald sei für ihn ökologisch wertvoll, erklärt Schlüpmann und deutet auf eine große Fläche umgeknickter Fichten in unmittelbarer Nachbarschaft zum Buchenwald. „Kyrill hat die weggehauen“, schmunzelt er. Intensive Forstwirtschaft, erklärt der Biologe, versauere den Boden und sei nicht gut für die Artenvielfalt. Der Kalkbuchenwald hingegen werde naturnah bewirtschaftet und biete seltenen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum.

Die Stadt will der Firma eine letzte Chance geben, das Projekt anzugehen

Um den Dolomitabbau in diesem Naturschutzgebiet in Angriff nehmen zu können, brauchte Rheinkalk eine schlüssige Begründung. In seinem Antrag auf Änderung des Planfeststellungsverfahrens im Jahre 2004 erklärte das Unternehmen, nirgendwo sonst seien Dolomitvorkommen dieser Qualität vorhanden. Außerdem seien 250 Arbeitsplätze des benachbarten Steinwerkes und weitere 800 Arbeitsplätze von Zulieferern in der Region gefährdet. Jährlich fünf Millionen Euro Steuergelder, so Rheinkalk, erhalte Hagen durch die Dolomitgewinnung und -verarbeitung. All diese Argumente überzeugten die Genehmigungsbehörde, die Stadtverwaltung Hagen. Eine schnelle Abwicklung des lästigen Naturschutzgebietes schien problemlos möglich zu sein. Doch dann gründete sich vor zwei Jahren die Bürgerinitiative „Rettet den Kalkbuchenwald“. Diese forderte die Hagener auf, schriftliche Eingaben gegen die Rodung des Haßleyer Waldgebietes an die Stadt zu richten.

Binnen kürzester Zeit bekam die Verwaltung von mehr als 3.000 Einwohnern Post. Zum Erörterungstermin im Mai letzten Jahres verfassten die Umweltverbände NABU und BUND Stellungnahmen, in denen sie auf die unwiederbringlichen Eigenschaften des Waldes aufmerksam machten. Rheinkalk wiederum versicherte, Ausgleichsmaßnahmen durchführen zu wollen: Schließlich könne man Bäume auch an anderer Stelle neu anpflanzen. Und die Firma bot Geld an, da die Jahrhunderte alten Bäume auf dem seltenen Kalkboden nicht durch Neupflanzungen zu ersetzen sind. „Es ging hoch her“, sagt Uwe Mania von der Bürgerinitiative. Auch das Arbeitsplatzargument trug Rheinkalk immer wieder vor. „Das war lächerlich. Schließlich wird immer wieder erwogen, das Steinwerk zu schließen, nicht erst seit der möglichen Verhinderung des Ausbaus der Donnerkuhle“, sagt Mania. Es könne durchaus sein, dass der Wald abgeholzt werde und das Werk Jahre später trotzdem schließe. „Eine Arbeitsplatzgarantie hat Rheinkalk nie ausgesprochen.“

Bis Anfang dieses Jahres hatte es den Anschein, als stünden die Naturschützer auf verlorenem Posten. Die wirtschaftlichen Interessen waren der Stadtverwaltung wichtiger als die ökologischen. Doch dann schlug eine Erklärung von Rheinkalk ein wie eine Bombe. Die Rheinkalk Hagen-Halden GmbH & Co KG, Besitzerin des Steinwerkes, sei an einen Investmentfonds verkauft worden. Plötzlich musste Rheinkalk einräumen, dass es in Zukunft Dolomit aus einer belgischen Grube beziehen wird. Die Exklusivität der Vorkommen an der Donnerkuhle war durch den Firmenzusammenschluss auf einmal nicht mehr gegeben. Im Werk war man inzwischen stark verunsichert. Rhone Capital, ein US-amerikanischer Investmentfonds, könne man getrost als „Heuschrecke“ bezeichnen, sagen Betriebsangehörige, die namentlich nicht genannt werden wollen. Vielleicht sei das Werk nur aufgekauft worden, um es zu schließen. Schon vor dem Verkauf, als Rheinkalk noch zum belgischen Konzern Lhoist gehörte, konkurrierte der Standort in Hagen mit Werken in Frankreich, Großbritannien, Polen und Dänemark. Der neue Besitzer aber plant, in China ein Werk zur Verarbeitung von Dolomit zu errichten. Viele Aufträge aus Fernost, die zur Zeit die Existenz des Steinwerkes in Hagen sichern, dürften da ausbleiben.

Rheinkalk erklärt, nirgendwo sonst seien Vorkommen dieser Qualität vorhanden

Die Stadt hat Rheinkalk bis Ende des Monats eine Frist gesetzt, seinen Antrag umzuformulieren. Umweltdezernent Herbert Bleicher will dem Unternehmen eine letzte Chance geben, das Projekt in Angriff zu nehmen. Bislang sei noch keine Post von Rheinkalk bei der Stadtverwaltung eingegangen, teilt das Büro des Umweltdezernenten mit. In der Unternehmenszentrale in Hagen-Halden schweigt man zu diesem Thema. Axel Offermanns, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, gibt sich einsilbig: „Im laufenden Verfahren können wir keine Angaben zum Stand der Dinge machen. Unsere weitere Vorgehensweise werden wir zunächst mit der Genehmigungsbehörde besprechen.“

Uwe Mania von der Bürgerinitiative wundert sich, dass sich die Stadtverwaltung von dem Konzern nicht hintergangen fühlt. „Von den Dolomitvorkommen in Belgien und dem geplanten Verkauf des Unternehmens wusste man bei Rheinkalk doch bestimmt schon im vergangenen Jahr.“ Den Antrag des Unternehmens hätte man deshalb ohne Probleme endgültig ablehnen können, statt eine neue Frist zu setzen. Aber selbst wenn das Unternehmen bis Ende Mai noch eine schlüssige Begründung zur Erweiterung der Donnerkuhle vorträgt, sieht der Umweltschützer den Wald noch längst nicht als verloren an. 15.000 Euro hat die Bürgerinitiative bereits für eine Klage auf einem Spendenkonto gesammelt. Der BUND würde mit Freude eine Verbandsklage gegen die Genehmigungsbehörde anstrengen. Falls es zu keiner Klage kommt, komme das Geld dem Kalkbuchenwald eben anderweitig zu Gute. „Nistkästen statt Anwaltshonorare“, sagt Uwe Mania und schmunzelt.