Liebeshändel im Arbeitszimmer

Die immer wunderlicher werdende Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss widerfuhr

Der all seiner Sinne beraubte Oberstleutnant Reuss folgte der Spur des Charlöttchens

Vor einigen Wochen berichtete die Wahrheit aus den Kreisen der Gesellschaft (Die Wahrheit vom 29. September, 17. November und 15. Dezember 2006 sowie am 16. April 2007). Nun ist es der Redaktion gelungen, mehr in Erfahrung zu bringen über den umtriebigen Oberstleutnant Reuss und darüber, wie sich die äußerst wunderliche Geschichte seiner Liebeshändeleien jetzo fortsetzt.

„Bitte, so fahren Sie doch fort“, forderte der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber den Generaldirektor Gretz auf. „Mich – und ich glaube auch im Namen des verehrten Herrn Notarius C. F. von Schiepenbeck sprechen zu dürfen –, uns also drängt es, zu erfahren, welch eine wunderliche Geschichte dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag denn nun widerfahren ist.“

Die Damen hatten sich zurückgezogen, um ein wenig zu ruhen, so dass es nun an der Zeit war für die Herren Intendanzrat Dr. Demetrius Weber, Generaldirektor Gretz und Notarius C. F. von Schiepenbeck, sich wieder bei einem edlen Gläschen Weinbrand aus einer kostbaren Kristallkaraffe, welche der geschäftstüchtige Notarius von einem nicht näher zu erwähnenden Stadtratssekretär als kleine Aufmerksamkeit geschenkt bekommen hatte, nachdem unserem Notarius im vertrauten Gespräch mit dem Sekretär eine kleine, nicht eben für die Öffentlichkeit bestimmte Information gleich einem flinken Mäuschen entfleucht war – nun also konnten sich die Herren wieder einem beflügelnderen Thema zuwenden, das zu erörtern in Gegenwart keuscher Damenohren nicht schicklich gewesen wäre. Denn noch immer galt es ja, zum Kern der Angelegenheit vorzudringen, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren war.

„Bevor ich mit den eigentlichen Geschehnissen fortfahre, die sich um den geschätzten Oberstleutnant, den braven Soldaten Lindow und dessen umtriebige Gattin winden“, hob der Generaldirektor Gretz nach einer Genusspause nun zu sprechen an, „erlauben Sie mir, liebe Freunde, bei meiner kleinen Abschweifung, die Sie mir zu gestatten die Güte hatten, zu verweilen, denn Sie werden sehen, dass alles zusammen erst das große Bild ergibt, das die wunderliche Amourette, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfuhr, so entzückend macht.“

Der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber und Notarius C. F. von Schiepenbeck lehnten sich behaglich in ihren Sesseln zurück und erwarteten, genüsslich ihre Zigarren schmauchend, gespannt den Fortgang des erregenden Liebesabenteuers.

„Wie ich ja bereits am Vormittag berichtete“, fuhr Generaldirektor Gretz in seiner Erzählung fort, „hatte sich besagter Oberstleutnant, während eines Manövers vor mittlerweile zehn Jahren, aus Gründen der Bequemlichkeit von seiner Einheit getrennt, da er das gemütliche Zimmer eines Gutshofes nächtens den rauen, feuchten Zelten seiner braven Soldaten vorzog. Eine Entscheidung, die ich meinerseits dem tapferen Oberstleutnant durchaus nachsehen kann, denn er kannte ja aus seiner eigenen Zeit als einfacher Soldat all die Unannehmlichkeiten, die so ein Zeltleben bei Dauerregen mit sich bringt. Und auf diesem Gutshof begegnete der Unglücksrabe halt dem liebreizenden, wenn auch katzenhaft durchtriebenen Töchterchen des Gutsbesitzers, Charlotte von Troy, das durchaus ihre jugendlichen Reize trefflich zu verwalten und einzusetzen wusste, ohne dabei jemals in Gefahr zu geraten, sich etwa in Gefühl zu verlieren. Und an dieser Stelle kommt nun der Schwerenöter und Weiberheld Arthur Schickel ins Spiel, den, wie ich bereits berichtete, viel, viel später die kleine Frau Lindow in die Rache an ihrem Gatten, den braven Soldaten Lindow, zu verwickeln suchte, da sie diesen eines unschicklichen Liebeshändels mit Cousinchen Bettine aus dem Städtchen M* verdächtigte.

Aber zurück zu den Geschehnissen auf dem Gutshof. Der all seiner Sinne beraubte Oberstleutnant Reuss folgte ausschließlich der Spur des geschickten Charlöttchens – Manöver, Stand und Würde waren vergessen, und er war bereit, Vermögen und Ehre dem grausamen Kätzchen hinzugeben, allein für die Gunst, des Kätzchens Tatze küssen zu dürfen – und vielleicht auch für mehr … Doch wie bitter musste er schlucken, als er, der Oberstleutnant, der Spur folgend, das durchtriebene Charlöttchen – heimlich lauschend hinter einer Tür, wie es sich für einen Militär solchen Ranges eigentlich nicht geziemt – im Arbeitszimmer des Gutsherrn mit eben dem schon eingeführten Arthur Schickel in geschäftlicher Zwiesprache wiederfand …“

Es war mittlerweile schon Nachmittag geworden und das Haus duftete nach Tee und frisch gebackenen Ingwerplätzchen. Vom Ruhelager der Damen hörte man bereits Kichern, und so beschlossen die Herren Intendanzrat Dr. Demetrius Weber, Generaldirektor Gretz und Notarius C. F. von Schiepenbeck, den weiteren Verlauf der Geschichte auf einen besseren Zeitpunkt zu vertagen.

Der Generaldirektor Gretz zwinkerte den Herren Notarius C. F. von Schiepenbeck und dem Intendanzrat Dr. Demetrius Weber verschwörerisch zu. Er würde die wunderliche Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren war, demnächst weitererzählen … CORINNA STEGEMANN