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Archiv-Artikel

Gegend-Darstellung

Schriften zu Zeitschriften: Seit 300 Ausgaben schaut „iz3w“ kritisch auf die Nord-Süd-Konflikte und -Krisen

Von Norden aus betrachtet, schien Freiburg schon immer ein seltsamer Hort linker Glückseligkeit zu sein. Lebenskunst und linke Gesinnung, vereint unter der Sonne des Südens. Im Schatten des Münsters verkaufen gut gelaunte Menschen auf dem Markt ihre ebenso wohlschmeckenden wie politisch-ökologisch korrekten Spezialitäten. Der politisch-ökologisch korrekte SC Freiburg gehört zum identitären Kern der Stadt, die der Nation den ersten grünen Oberbürgermeister bescherte. Was bitteschön ist an diesem smarten Stromlinienkarrieristen Dieter Salomon links? So wird der neidische Nordmensch mit Recht einwenden, vielleicht noch hämisch „Heidegger! Rektoratsrede!“ rufen und sich über den hiesigen Dialekt lustig machen, mit dem niemals eine erfolgreiche revolutionäre Ansprache an die deutschen Proletariermassen gelingen kann.

Zugegeben: Im beschaulichen Biotop Freiburg wäre die Stadtguerilla nicht erfunden worden. Dennoch und allen Lästereien zum Trotz: Die Wasser der Bächle fließen nach links. Das beweist die legendäre Bücherfundgrube „jos fritz“, ebenfalls eine identitätsstiftende Institution der Stadt; das belegt eine Zeitschrift, die seit 1970 aus der Provinz die globale Lage analysiert: iz3w, gewissermaßen das Freiburger Münster innerhalb der deutschen internationalistischen Bewegung.

Das für Nichteingeweihte kryptische Kürzel steht für „informationszentrum 3. welt“. Die Zeitschrift, ein Kind der Gegenöffentlichkeit, analysiert immer noch alles, was mit der Dritten Welt zu tun hat: internationale Verflechtungen, Herrschaftsverhältnisse, Glanz und Elend der Entwicklungspolitik, die Krisen und Konflikte zwischen und innerhalb der armen und reichen Länder. Soeben ist die 300. Ausgabe von iz3w erschienen, in der bewährten Mischung aus kritischer Publizistik und Wissenschaft, jeweils mit Heftschwerpunkten (diesmal „Altlasten – Namibias langer Weg in die Unabhängigkeit“); zwar inspiriert, aber nie okkupiert von den sozialen Bewegungen. Doch Feierlaune angesichts des Jubiläums will nicht so recht aufkommen. Eine Existenzkrise zwingt zur Abokampagne; notgedrungen erscheint die Zeitschrift neuerdings sechsmal im Jahr statt wie bisher monatlich. Noch hat man 2.200 Abonnenten, doch diverse Fördergelder sind gestrichen worden, weshalb die Zeitschrift auf neue zahlende Leser angewiesen ist.

Den Spagat, den iz3w angesichts der sich wandelnden Dritte-Welt-Szene seit Jahren vollbringt, ist kompliziert genug: einerseits die professionellen NGO-Manager, die nur auf die nächste grüne Regierungsbeteiligung warten, um in die Ministerien und Planungsstäbe einzurücken; andererseits die radikalen Antiglobalisierungskämpfer. Die iz3w-Reaktion besteht in der Symbiose aus Empathie und Coolness. So findet man im März/April-Themenschwerpunkt „Die Macht der Acht – G8 und internationale Herrschaft“ lässige Sätze über die globalisierungskritische Bewegung angesichts des bevorstehenden Demorituals in Heiligendamm: „Protz, Paparazzi und Protest“ würden die G-8-Inszenierung erst ermöglichen, Rebellinnen und Monarchen bedürften beide dieses Rockfestivalspektakels. Ohne romantischen Überschuss fällt auch der Blick auf Hugo Chávez aus: Eine venezolanische Aktivistin findet die Auftritte des venezolanischen Caudillo „einfach nur peinlich“. Und Daniel Ortega, in den Achtzigern lateinamerikanischer Lieblingsrevolutionär aller Linken und heute wieder einmal Präsident in Nicaragua, sieht im Januar/Februar-Heft ebenfalls schlecht aus: Umgeben von einer „Nomenklatura von Karrieristen und Speichelleckern“ habe er seit 1998 „die letzten Prinzipien über Bord geworfen“. Der kritische Blick von iz3w gilt nicht nur den üblichen Imperialisten. Ebenfalls lesenswert sind die Texte zur Postkolonialismus-Debatte oder auch das ausgezeichnete Heft zum Thema „Grenzüberschreitung – Migration von Süd nach Süd“ (September 2006), das mit den üblichen europäischen Ängsten und Klischees („Ansturm der Armen“) aufräumt: Zwei Drittel der 191 Millionen Migranten wandern innerhalb des Südens, Chancen und Leid im Gepäck. Es wäre überaus schade, wenn die intelligent-undogmatische Freiburger Sehenswürdigkeit iz3w einstürzen würde.

ALEXANDER CAMMANN

iz3w Mai/Juni 2007, 5,30 € www.iz3w.org