: Kaltblütig
Mit klugem Ergebnisfußball nähert sich der FC Bayern der Spitze. Nach dem 3:2-Erfolg heißt es gar: „Wir haben den Anschluss wieder total hergestellt“
AUS BERLIN JOHANNES KOPP
Nach 68 Minuten trauten sich die Bayern-Fans in Berlin etwas, wofür sie in den vergangenen Wochen gnadenlos verspottet worden wären. Sie sangen wieder: „Deutscher Meister wird nur der FCB.“ Zuvor hatte Makaay die 3:1-Führung erzielt.
Nach dem Endstand von 3:2 erklärte Trainer Ottmar Hitzfeld ähnlich forsch wie die Münchner Fans: „Wir haben den Anschluss nach oben wieder total hergestellt.“ Es hörte sich so an, als ob die Bayern anstatt der sechs Punkte nur noch sechs Tore vom Tabellenführer Schalke trennen würden. Für Hitzfeld mag sich das auch wirklich so anfühlen. Denn sein Bayern-Comeback, zu dem er sich Anfang Februar bereitfand, schien bereits zum Scheitern verurteilt zu sein. Die Akzente, die man sich von einem Trainerwechsel versprach, konnte Hitzfeld zu Beginn seiner Amtszeit nicht setzen. Die Niederlagen in Nürnberg und Aachen drohten einen Absturz historischen Ausmaßes einzuleiten.
Doch nach den schon gezeigten Leistungssteigerungen gegen Real Madrid und den VfL Wolfsburg präsentierte sich der FC Bayern in Berlin in einer Form, die an frühere Hitzfeld-Tage erinnert. Die Mannschaft spielte einen schon fast perfekt organisierten Ergebnisfußball. Wie anno dazumal war dies auch am Samstag nur teilweise schön anzusehen. „Wir hatten sie doch die ersten 30 Minuten im Griff“, klagte Hertha-Verteidiger Arne Friedrich. Das Gleiche konnte man allerdings auch aus Bayern-Sicht behaupten. Wie zwei Ringer verhakten sich die beiden Teams von Anpfiff an ineinander. Die Spieler verstrickten sich im Mittelfeld zu einem unauflösbaren Knäuel. Abseits vom Geschehen standen die Torhüter.
Kaltblütig, wie Hitzfeld befand, schlug dann der Rekordmeister innerhalb von nur 120 Sekunden zu. Hasan Salihamidzic staubte in der 30. Minute nach Kopfball von Lukas Podolski zur 1:0-Führung ab. Der Bosnier ließ die Berliner daraufhin erst gar nicht zur Besinnung kommen. Er spielte Podolski mit einem überlegten Heber in der Spitze an, und dieser schoss das Leder volley zum 2:0 ins Tor. Ein grandioser Doppelschlag, der viele Mannschaften zu weiteren Offensivbemühungen animiert hätte. Die Bayern hingegen traten den geordneten Rückzug an. Erst als Hertha durch Giménez und van Burik herankam, nahmen die Münchner ihr Spiel wieder auf. In den Schlussminuten vergaben sie Chancen zum 4:2. Zu keiner Phase ließen die Bayern den Eindruck aufkommen, sie könnten die Partie aus der Hand geben.
Ungebremste Leidenschaft war in München auch unter Hitzfelds Vorgänger, Felix Magath, verpönt. Der augenfälligste Unterschied zu früher ist, dass Hitzfeld mit seinem altbewährten Rotationssystem versucht, den Ehrgeiz anzustacheln. Makaay saß letzte Woche auf der Bank, in Berlin mussten erst einmal Schweinsteiger und Pizarro zuschauen. Das taktische System hat Vorrang. Jeder ist wichtig, so lautet sein Credo.
Der Auswärtstriumph von Berlin hat den Bayern unverhofft wieder eine Chance im Kampf um den Meistertitel beschert. Hitzfeld unterstrich diese Ambitionen, indem er sich eifrig der psychologischen Kriegsführung widmete. Er kam darauf zu sprechen, dass ihn die zwei Heimniederlagen von Schalke verwundert hätten. „Das ist ungewöhnlich für eine Spitzenmannschaft“, fügte er mit gespielter Arglosigkeit hinzu. Und zugleich ließ er die Niederlagen der Konkurrenz wie eine göttliche Fügung aussehen. Er bezeichnete sie als „Geschenk des Himmels“.
Im Vorfeld der Partie gegen Hertha hatten die Bayern noch ganz andere Sorgen. Hitzfeld musste seinen Spielern die Bundesligabegegnung erst noch schmackhaft machen, weil sich der Verein bereits auf die Champions League versteift hatte. Der Trainer stellte also seinen Schützlingen in Aussicht, sie könnten sich in der Hauptstadt für einen Patz in der Startelf kommenden Mittwoch gegen Real Madrid empfehlen. Den meisten dürfte dies gelungen sein. Podolski ist für das Rückspiel in München guter Dinge. „Wenn wir so weiterspielen, wird es Madrid schwer haben.“