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Archiv-Artikel

Falsche Sonntagsruhe

SHOPPEN Die evangelische Kirche schaffte es, vor dem Verfassungsgericht den Sonntag als grundsätzlich konsumfrei schützen zu lassen. Ist das noch zeitgemäß?

Das tatsächlich Empörende an diesem Urteilsspruch ist, dass er die Freiwilligkeit des Tuns untergräbt

VON JAN FEDDERSEN

Dieser Grundklang eint alle christlichen Strömungen: Konsum ist doof, denn die Dinge, die man erwerben kann, sind höchstens Ersatzteile, die dem menschlichen Kontakt im Wege stehen. Wer kauft, gibt sich befremdlich; wer shoppt, sündigt. Alles, was käuflich zu erwerben sein könnte, ist nicht von Übel, wird aber durch Geldliches fragwürdig. Geld ist im Übrigen schmutzig, ja, das Pekuniäre stinkt doch – denn Zaster, Moneten, Kommerz, Mammon oder Kröten, wie auch immer man jenes Mittel nennen will, mit dem man kaufen kann, es ist falsch.

Dass dieses Credo ein heuchlerisches ist, muss nicht kümmern. Christen tun viele Dinge, die sie als sündig nehmen müssen, mindestens als im Widerstreit mit den Zehn Geboten. Als Kirche jedoch haben sie an Einfluss verloren. Beispielsweise was die Stimmung an Sonntagen anbetrifft. Früher war es selbst Radiosendern verboten, fröhliche Musik an christlichen Feiertagen zu spielen, etwa am Karfreitag, Buß- und Bettag oder an Christi Himmelfahrt. Kirche hat auch nicht mehr die Macht, das gesellschaftliche Leben mit ihren Vorstellungen zu strukturieren. Der gesamte sittliche Bereich ist, nach langen Kämpfen gegen die Kirchen, weitgehend frei von christlich begründeten Verboten. Der einzige Bereich, in dem die Kirche einen aktuellen Sieg davontragen konnte, ist der um die Ruhe an einem Tag, nämlich dem Sonntag.

Schutz der Familie

2009 erstritt die Kirche, dass der Sonntag den verfassungsgestützten Rang eines arbeitsfreien Tages erhält. Das Begehr richtete sich stellvertretend für etliche andere Bundesländer gegen Berlin, wo man sich an verkaufsoffenen Sonntagen gerade zur Weihnachtszeit störte. Der siebte unter den geschöpften Tagen verdiene Ruhe und Besinnlichkeit. Karlsruhe teilte mit, der Sonntag sei ein traditionell arbeitsfreier Tag, der der Ruhe dienen möge – nicht dem Konsum. Der Spruch der Richter verwies in Sonderheit auf Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt.

Vergessen wurde bei diesem Urteil nicht allein, dass in Krankenhäusern, bei Feuerwehren, Polizeistellen, in der Gastronomie und anderswo auch sonntags gearbeitet wird. Übersehen wurde, dass in Ländern wie Schweden oder Großbritannien allen Geschäften die Öffnung am christlichen Tag der Ruhe erlaubt ist – und dort dennoch keine höheren Scheidungs- oder familiären Zerrüttungsraten überliefert sind. In Deutschland aber gilt nun, was eine Glaubensgemeinschaft meint, einer säkularen Mehrheit vorschreiben zu können. Der Hinweis auf die Tradition der Ruhe, der Einkehr und der inneren Sammlung an einem Tag, der frei ist von Einkäufen, ist ein bizarrer: Die Sonntagsruhe mit erstorbenem öffentlichem Leben barg die bleiernsten Momente der deutschen Familiengeschichte. Wo alle ruhen mussten, kam niemand zur Ruhe.

Auch in Dresden hatten am Himmelfahrtstag lediglich Cafés, Bäckereien, Bahnhofsläden und Tankstellen geöffnet. Den Preis mussten die meist nicht besonders solventen jungen Kirchentagsgäste zahlen – Wasser, Brötchen, Kuchen kosten in den kleinen Läden heftig mehr als in gewöhnlichen Lebensmittelläden: Gästeverpflegung zu wegelagerischen Tarifen.

Die Pointe mag allerdings sein, dass gerade das Einkaufen am Sonntag, das Konsumieren, das Shoppen, besonders friedlich sein kann – und für gottesdienstpflichtige ChristInnen sogar nach dem letzten Glockenschlag zur Mittagszeit. Die Sonntagsruhe aber, die dem Land nun höchstrichterlich beglaubigt verordnet ist, ist eine, die selbst Konsumkritiker nicht froh machen kann: Wer hastig, also nach Feierabend, einkauft, erwirbt oft Falsches.

Lästige Geschenke

Schade, dass auf dem Kirchentag nicht ein Podium, keine einzige Debatte über die Qualität des Konsumierens angeboten wird. Wie geht das eigentlich – entspannt einen Sonntag zu begehen? Mit kleinem oder größerem Einkaufsbummel? Ist das schon gottlos? Oder ist der Erwerb von Sachen nicht ein lustvolles Unterfangen? Was ist wirklich zu sagen gegen offene Ladentüren von Kaufhäusern – außer, dass die Kirchen möchten, ihre Türen stünden als einzige zum Betreten der Gotteshäuser an einem Sonntag offen?

Stattdessen wird die Christenheit mit dem Generalbass der Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt abgespeist: Der Sonntag sei „ein Geschenk der Christen an die Gesellschaft“. Jeder, der schon einmal Geburtstag hatte und anderntags die Geschenke näher beguckte, weiß: Manches Präsent wollte man nie oder nie mehr haben.

Das tatsächlich Empörende an diesem seit anderthalb Jahren geltenden Urteilsspruch ist, dass er die Freiwilligkeit des Tuns weiterhin untergräbt: Wer nicht will, muss sonntags nicht shoppen gehen. Wer nicht möchte, ist nicht gezwungen, Geld für Klamotten oder Elektrogeräte zu verballern.

In Skandinavien geht man weniger eifernd mit dem Sonntag um: In Schweden, und zur Weihnachtszeit auch in Dänemark, haben Warenhäuser geöffnet. Das Publikum hat nichts Gehetztes an sich, offenbar fühlt es sich nicht angeekelt durch das, was Kirchen als Kommerz geißeln. Man sieht sogar Familien, die sich dem Shopping widmen. In Kopenhagens Innenstadt haben derweil, mitten im Trubel, die meisten Kirchen ihre Türen geöffnet – kein schlechter Service, denn protestantische PfarrerInnen halten ihre sakralen Räume die meiste Zeit geschlossen. Ihr Angebot: Gönnen Sie sich Momente der Stille. Ziehen Sie sich, wenn der Lärm urbanen Lebens beim Shoppen zu viel wird, zurück. Und es wird genutzt, dieses Angebot, das freilich nur als Geste der Verführung zu begreifen ist, nicht als Zwangsruhe.

In Deutschland nötigten die Kirchen dem – zumal in Ostdeutschland – überwiegend säkular gesinnten Publikum die verbietende Moral einer Minderheit auf. Das ist mehr als fragwürdig. Kenner christlicher Vorstellungen von einem guten Leben erkannten in der Leidenschaft christlicher Verfechter der Sonntagsruhe die alte Neigung der Kirchen zur Zwangsbeglückung wieder. Es handelte sich meist um den Zwang, sich den Vorstellungen eines religiösen Massenvereins zu unterwerfen.