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Anschub für die Bewegung

GESCHICHTE Beim ersten Atommüll-Transport vor 30 Jahren wurde Gorleben zum Zentrum der Anti-AKW-Bewegung. Die steckte damals gerade in einer Krise

Auch der Motorradclub „Idas“ war dabei – in der griechischen Mythologie ein Widersacher von Castor

VON REIMAR PAUL

1984: Die großen Schlachten in Brokdorf, Grohnde und Kalkar sind geschlagen, die AKW-Bauplätze zu Festungen hochgerüstet, Platzbesetzungen scheinen nicht mehr möglich. Die Anti-AKW-Bewegung taumelt in eine Krise. Viele Initiativen fallen auseinander, AKW-Gegner und -Gegnerinnen der ersten Stunde engagieren sich in anderen gesellschaftlichen Konflikten. Sie demonstrieren an der Startbahn West, besetzen Häuser oder ziehen sich ins Privatleben zurück.

Auch der Widerstand in Gorleben ist von diesen Schwankungen in der Konjunktur der sozialen Bewegungen betroffen, er harrt aber aus. Und als Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) sein Versprechen bricht und 1983 mit der Gemeinde Dragahn einen neuen Standort für eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im Wendland ins Spiel bringt, besetzen die verbliebenen Aktivisten erneut den potenziellen Bauplatz. Eine WAA in Gorleben hatte Albrecht 1979 nach dem legendären Treck der Lüchow-Dannenberger Bauern nach Hannover für nicht durchsetzbar erklärt.

Die Ankündigung, dass erstmals Atommüll in das Gorlebener Zwischenlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle gebracht werden soll, mobilisiert Anfang 1984 Tausende: Am 24. März beteiligen sich 15.000 WendländerInnen an einer Menschenkette, die – 26 Kilometer lang – von Hitzacker bis nach Clenze reicht. Manche Dörfer haben sich geschlossen eingereiht.

Bei der „Wendland-Blockade“ am 30. April 1984 blockieren mehr als 6.000 AKW-GegnerInnen mit Autos, Treckern und Baumstämmen alle Zufahrtsstraßen in den Landkreis. Die Polizei kommt mit dem Räumen der Barrikaden nicht nach. Beamte lassen bei mehr als 100 Autos die Luft aus den Reifen, zerschlagen bei anderen die Scheiben. 500 Personen werden morgens um drei Uhr aus Zelten und einem Schlafsaal gezerrt, in Gefängnisbusse verfrachtet und 30 Kilometer entfernt auf freiem Feld ausgesetzt.

Am 8. Oktober 1984 ist der erste „Tag X“ im Wendland. Vier Tieflader mit 210 Atommüllfässern aus Stade passieren das Tor zum Zwischenlager. An diesem und dem folgenden Tag sorgen 1.500 Demonstranten erneut für Unruhe in der Region; immer wieder werden Barrikaden gebaut, kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mehr als 70 Menschen festnimmt. Am darauf folgenden Samstag protestieren noch einmal mehrere Tausend in Lüchow.

Nach dem ersten „Tag X“ werden die Widerständler von Polizei und Verfassungsschutz überwacht. Kripo-Leute in Zivil verfolgen Bauern auf dem Weg zu Gesangs- und Kegelabenden, notieren die Kennzeichen von Autos und Traktoren, sie schneiden Telefongespräche mit und leuchten nachts auch schon mal die Fenster und Fassaden von Höfen und Kneipen aus.

Gegen etliche Wohngemeinschaften wird nach dem Terrorismus-Paragrafen 129a ermittelt, Hunderte Atomkraftgegner müssen sich vor Gericht verantworten. Nach Presseberichten sind 1984 mehr als zweitausend Einwohner aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg im „Spurendokumentationssystem“ des niedersächsischen Landeskriminalamtes gespeichert.

Trotzdem blieb Gorleben der Kristallisationspunkt der Anti-AKW-Bewegung. „Wenn du Standortpolitik machst“, erklärte Sprecher Wolfgang Ehmke einmal die Ausdauer der örtlichen Bürgerinitiative (BI), „kannst du dir eigentlich nicht aussuchen, ob du dich mal engagierst und mal nicht.“ An einem Tag stimme der Gemeinderat über einen Flächennutzungsplan ab, an einem anderen diskutiere der Kreistag über ein Demonstrationsverbot, am dritten beschließe der Landtag den Bau einer neuen Polizeikaserne. „Ständig stehen Entscheidungen an, die nach politischen Antworten und Reaktionen verlangen. Du hast deshalb gar keine Zeit, dich zurückzulehnen und zu sagen, na ja, wollen wir’s mal zwei, drei Jahre ruhiger angehen lassen.“

Dabei ist die BI schon damals längst nicht einziger Protagonist des wendländischen Widerstandes. Daneben agieren die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Gorleben-Frauen, die Seniorinnen und Senioren von der „Initiative 60“, Schülergruppen, unabhängige Komitees, später auch der Motorradclub „Idas“ – in der griechischen Mythologie ein Widersacher von Castor.

Zur Absprache von Aktionen treffen sich die Widerständler zweimal jährlich oder auch öfter bei den sogenannten „Ratschlägen“. Da werden Ideen eingebracht, erörtert und wieder verworfen. „Nach zwei oder drei Stunden merkt man, ob ein Vorschlag sich setzt oder nicht“, erzählt ein langjähriger Widerstandsaktivist. Wenn nicht, „wird der Vorschlag zurückgezogen, dann hat es auch keinen Zweck, daran festzuhalten oder darüber abzustimmen“.

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