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Archiv-Artikel

Kein grünes Indien

INDIEN Widerstand gegen die Atom- und Energiepolitik der Regierung ist selten

Wissenswertes

USA: Bevölkerungsgröße: 318 Millionen BIP: 14 Billionen US-Dollar (2009) Anzahl der Atomreaktoren: 104 Strom aus Atomenergie: 20 Prozent Ältestes AKW noch im Betrieb: R.E. Ginna, seit 1969 Haushalte ohne Strom: weniger als 1 Prozent Pläne: Bau von 4 Reaktoren Erneuerbare: 8,2 Prozent

Indien: Bevölkerungsgröße: 1,2 Milliarden BIP: 1 Billion US-Dollar (2009) Anzahl der Atomreaktoren: 19 Strom aus Atomenergie: 3 Prozent Ältestes AKW noch in Betrieb: Tarapur, seit 1969 Haushalte ohne Strom: 35 Prozent Pläne: Bau des weltgrößten AKWs in Jaitapur Erneuerbare: 25 Prozent Wasserkraft

In Indien geht oft das Licht nicht an. Ein großer Teil der Bevölkerung hat keinen Strom: 35 Prozent der Haushalte, hauptsächlich auf dem Land, sitzen im Dunkeln. Um das Problem zu lösen, setzt die indische Regierung auf Kohle- und Atomstrom sowie zu einem kleinen Teil auf erneuerbare Energien. Um letztere kümmern sich eigens dafür ins Leben gerufene Ministerien.

Trotz dieses Energiemixes baut die Regierung das größte Atomkraftwerk der Welt in Jaitapur. Es hat sechs Reaktoren und soll 9.900 Megawatt Leistung produzieren. Der Bau verzögert sich durch massive Proteste, ein Ende der Bauarbeiten steht noch nicht fest. Auch der Umweltminister Jairam Ramesh steht dem Projekt kritisch gegenüber.

Eine weitere wichtige Form der Stromgewinnung sind die 4.300 Staudämme. Indien gewinnt dadurch 25 Prozent seiner Energie und kann Brachland für zusätzliche 20 Millionen Menschen landwirtschaftlich nutzbar machen. In der Wüste Rajasthans wird das erste solarthermische Kraftwerk Asiens errichtet, um 300 Sonnentage pro Jahr nutzen zu können.

Eine kleine grüne Bewegung, die mit der deutschen noch längst nicht vergleichbar ist, formiert sich, sagt der Autor Rainer Hörig. Viele Bauern wohnen in der Nähe des Atomkraftwerkes in Jaitapur und befürchten, dass sie durch dessen Bau umgesiedelt werden. „Technokraten und Intellektuelle beginnen sich jetzt nach den Ereignissen in Fukushima mit dem Thema Atomkraft und Endlager auseinanderzusetzen. Angesichts der großen Bevölkerung Indiens handelt es sich hierbei allerdings um eine Minderheit“, sagt Hörig, der bereits seit 20 Jahren in Indien lebt.

„In der breiten Bevölkerung ist die Atomenergie eine Sache des nationalen Prestiges, diese komplizierte und teure Technik zu beherrschen. Darauf sind die meisten Inder sehr stolz“, berichtet Hörig. Zwei große Organisationen setzen sich dennoch für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung ein: das Centre for Science and Environment (CSE) und TERI, der auch der Friedensnobelpreisträger Rajendra Pachauri angehört. Er engagiert sich für den Schutz und die Nutzung der Wasserreserven. Die sollen so genutzt werden, dass die Bevölkerung daran teil hat. Seit dem 1. April dieses Jahres gibt es ein neues Energieeffizienzgesetz, dass Unternehmen, die zuviel Strom verbrauchen, bestraft, und solche fördert, die besonders stromsparend arbeiten.

Ist eine ökologische Bewegung in Indien dennoch denkbar? „Das Thema Atomkraft wird nicht öffentlich debattiert“, sagt Hörig. Trotzdem protestieren einige. „In Deutschland hat es auch 40, 50 Jahre gedauert, bis eine Mehrheit der Bevölkerung sich dagegen ausgesprochen hat, und in Indien wird es wohl genauso lange dauern.“

MATTHIAS ANDERS, JENNIFER WARZECHA