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Archiv-Artikel

Alle gegen Willi

SCHLUSSLICHT Bremen kriegt Kohle und lässt sich dafür reinreden. Das ist der eigentliche Tabubruch

Etwas geschickter als Kühne macht auch Netzer Personalpolitik via Presse

Micoud, Diego oder Özil – magische Momente gab es eine Menge bei Werder Bremen. Nun hat ausgerechnet einer ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert, über den ein Boulevard-Kommentator noch vor Tagen lästerte: „Geschäftsführer Filbry wird in Bremen von allen nur belächelt, gilt als planlos.“

Eben jener Klaus Filbry präsentierte am Samstag einen Deal, der für eine Beruhigung der aufgeheizten Stimmung bei Werder sorgen dürfte: Der Sportrechtevermarkter Infront hat seine Zusammenarbeit mit den Grün-Weißen vorzeitig bis 2029 verlängert und beschert ihnen neben verbesserten Konditionen eine Sofortzahlung im hohen einstelligen Millionenbereich. Mit diesem Geld kann der Klub in der Winterpause Spieler kaufen, ohne sich zu verschulden.

Seit 2008 kümmert sich Infront, dessen Vorstandsvorsitzender ein Neffe von Fifa-Boss Blatter ist, um die Vermarktung des Stadions und der Trikotbrust. Zur Präsentation der Vertragsverlängerung schickte der Infront-Vorstand sein Aushängeschild Günter Netzer an die Weser. „Wir haben großes Vertrauen in die Führung und die Zukunft des Vereins“, sagte der Ex-Nationalspieler und verscheuchte damit die Weltuntergangsszenarien der vergangenen Woche.

Der Absturz auf den letzten Tabellenplatz hatte zuvor Werder-untypische Panikreaktionen ausgelöst. Die vorhersehbare „Schmeißt den Trainer raus“-Kampagne des Boulevards geriet noch unappetitlicher als sonst und der scheidende Geschäftsführer Klaus Dieter Fischer stellte Tabu-Brüche wie eine Neuverschuldung und Verkauf von Anteilen in den Raum.

Höhepunkt der Panikattacken war ein ganzseitiges Interview des Weser Kuriers mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen L. Born, das dieser nicht nur zur Selbstbeweihräucherung, sondern zur Attacke gegen Aufsichtsratschef Willi Lemke nutzte. Von verschiedenen Seiten wurde außerdem lanciert, dass potenzielle Geldgeber des SV Werder Bremen ein Engagement vom Ausscheiden Lemkes, der für eine eher konservative Geschäftspolitik steht, abhängig machen würden.

Lemke, der zu der Zeit auf Dienstreise als UN-Sonderbotschafter war, erinnerte als Reaktion zu Recht an die Einmischungen von Investor Kühne beim HSV. Der eigentliche Tabu-Bruch bei Werder besteht darin, dass sich der Klub nicht geschlossen gegen den Eindruck wehrt, Personen für Kohle fallen zu lassen.

Die Aussagen Netzers machen wenig Hoffnung, dass das Infront-Geld so einflussfrei fließt wie behauptet. Etwas geschickter als Kühne in Hamburg macht auch Netzer Personalpolitik via Presse und bringt Aufsichtsratsmitglied Marco Bode als Lemke-Nachfolger ins Spiel. „Mit Klaus Filbry, Thomas Eichin und Marco Bode im Aufsichtsrat hätte man dann drei Gesichter an der Spitze“, die nach Netzers Meinung die Zukunft von Werder sein sollten.