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Archiv-Artikel

Jeder macht, was er nicht kann

ANTIWELLE Zwischen Film und Musik: Mit „Contort Yourself“ erkundete das HAU am Wochenende die New Yorker No-Wave-Szene der späten Siebziger. Nach 20 Jahren Pause kam sogar die Ikone James Chance wieder nach Berlin

Die rohen Bilder mit ihrer groben Körnung setzten sich klar von etwaiger Hollywood-Perfektion ab

VON SARA PIAZZA UND TIM CASPAR BOEHME

Angeblich fing es so an: Ein dubioser New Yorker Händler namens „Freddy the Fence“ erwarb um 1977 eine Lieferung billiger Super-8-Kameras. In seiner Nachbarschaft, der Lower East Side, sprach sich die Neuigkeit unter den ansässigen Underground-Künstlern schnell herum. Wenig später setzte ein rund fünfjähriger Boom von Lowest-Budget-Filmproduktionen ein. Dieser als No Wave bekannt gewordenen Periode widmete das Hebbel am Ufer am vergangenen Wochenende unter dem Titel „Contort Yourself“ eine große Retrospektive von zum Teil sehr seltenen Kurzfilmen, in denen oft Musik eine entscheidende Rolle spielte.

Die Verbindung zur Tonkunst ergab sich auf direktem Wege, da viele der Beteiligten alle möglichen Formen des künstlerischen Ausdrucks in einer Person vereinten. Im Grunde war es in der Lower East Side völlig normal, dass man Musiker, Schauspieler, Regisseur oder Kameramann zugleich war, ohne eine entsprechende Ausbildung genossen zu haben. Oder wie John Lurie, Regisseur und Darsteller des Sci-Fi-Trash-Beitrags „Men in Orbit“ von 1978, einmal über die dort übliche Arbeitsweise sagte: „Jeder machte, was er nicht konnte.“

Christian Höller, gemeinsam mit Christoph Gurk vom HAU Kurator der Veranstaltung, zitierte diesen Schlüsselsatz in seinem Einführungsvortrag, um deutlich zu machen, dass Dilettantismus, ganz im Sinne der Do-it-yourself-Haltung des Punk, im No Wave nicht als Mangel, sondern als Stärke galt. Ironischerweise wurde Lurie nicht als Regisseur, sondern als, keinesfalls dilettantischer, Saxofonist und Bandleader der Lounge Lizards sowie als Darsteller in den frühen Filmen Jim Jarmuschs berühmt. Letzterer ist zudem einer der wenigen Mitstreiter dieser Szene, der heute als Filmemacher etabliert ist.

Kommerzielle Überlegungen standen für die Macher des No Wave jedoch nicht im Vordergrund. Ihnen ging es um ein neues erzählerisches Kino, das sich vom akademischen Formalismus der New Yorker Kunstfilm-Avantgarde absetzen sollte. Mit Geschichten von Gewalt, Drogen oder unterdrückter Sexualität spiegelten sie ein nihilistisches Klima von Angst und Bedrohung wider und brachten so ihre „Wut über die eigene Ohnmacht“ zum Ausdruck, wie Regisseurin Beth B bei der abschließenden Podiumsdiskussion anmerkte.

„Black Box“ von Beth B und Scott B zum Beispiel führt Foltertechniken vor, wie sie angeblich auch von der CIA entwickelt wurden. Lydia Lunch, Sängerin der Band Teenage Jesus and the Jerks, quält darin einen willkürlich entführten jungen Mann, den sie mit unerträglichen Frequenzen und Stroboskoplicht an das Ende seiner Kräfte bringt.

Die narrative Form folgt selten filmischen Konventionen, sondern arbeitet mit Sprüngen oder assoziativen Bild- und Klangmontagen, auf Dialoge wird mitunter komplett verzichtet. Dank der günstigen Super-8-Technik setzen sich die rohen Bilder mit ihrer groben Körnung von etwaiger Hollywood-Perfektion ab. Marc Masters, Autor der Anthologie „No Wave“, wies in seinem Vortrag zudem darauf hin, dass die Filmszene sich auch lokal stark vom Film- und Kunstmarkt abgrenzte, indem sie die üblichen Spielstätten wie Kinos oder Galerien mied und ihre Werke lieber in Musikclubs laufen ließ. Das Publikum sollte, wie bei einem Konzert, unmittelbar auf das Gesehene reagieren.

Um eindeutige Reaktionen hervorzurufen, bedurfte es dabei nicht immer drastischer Mittel. Auch Langeweile wurde zu Provokationszwecken eingesetzt. So sieht man in „Kidnapped“ den Schauspieler und Regisseur Eric Mitchell, eine der zentralen Figuren des No Wave, mit Freunden in einer Wohnung darauf warten, dass endlich etwas passiert. Und bei James Nares, dessen Kurzfilme „Ramp“ und „Pendulum“ von 1976 das Programm eröffneten und beschlossen, folgt die Kamera einer Betonkugel, die mal eine Rampe herunterrollt, mal als riesiges Pendel in einer verlassenen Straße hin und her schwingt. Wider Erwarten waren gerade diese meditativen Beiträge besonders kurzweilig.

Der Namensgeber der Reihe durfte ebenfalls nicht fehlen. James Chance, als anarchischer Saxofonist und melodische Konventionen missachtender Sänger der Contortions legendär geworden, landete mit „Contort Yourself“ von 1980 einen Underground-Hit, mit dem der Musiker das Wochenende in seinem ersten Berliner Konzert seit 20 Jahren würdevoll ausklingen ließ. Seine französische Begleitband ging weniger aggressiv, dafür technisch versierter zu Werke als die New Yorker Originalbesetzung, Chance hingegen klang – und tanzte – immer noch jugendlich ungestüm.