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Archiv-Artikel

Im Zwischenreich der Roni Horn

AUSSTELLUNG Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste deutsche Einzelausstellung der amerikanischen Fotografin Roni Horn. In ihren zehn Serien aus den letzten zwanzig Jahren steht kaum ein Motiv allein. Vor allem ihre Porträts kommen stets paarweise daher

Familienähnlichkeit ist schließlich auch eine Methode, die Singularität einer Person aus der Betrachterperspektive ins Schwanken zu bringen

VON DOROTHEE WENNER

Im Theater oder im Kino, bevor das Licht ausgeht, oder auch während langer Vorträge studiert man die Hinterköpfe derer, die vor einem sitzen, ja oft sehr genau. Mit etwas soziologischer Akribie lassen sich aus dem mutmaßlich letzten Friseurbesuch, aus Haarfarbe, Frisur, Haarproblemen und dem dazugehörigen Kragenansatz ganze Persönlichkeitsprofile erstellen. Eine ähnliche Sogwirkung hat die Fotoserie „BIRD“ der US-Amerikanerin Roni Horn – allerdings handelt es sich nicht um Menschen, sondern um „ausgestopfte“ Vögel isländischer Herkunft, die die Fotokünstlerin vor weißem Grund, aber eben auch von hinten zeigt. Prächtige Tiere, individuelle Exemplare mit und ohne viel Hals, mit starkem Nacken oder etwas schiefen Schultern, mit sonderbar ausgebeulten Kopfformen, in exaltierten oder betont unauffälligen Federkleidern, die sich in vieler Hinsicht entsprechen und gleichen, aber nicht identisch sind. Horn zeigt die Köpfe der Vögel jeweils paarweise, und das Nebeneinander des Gleichen verblüfft. Man hält fast instinktiv inne, um auf der Oberfläche die Ähnlichkeiten, Gleichheiten und Differenzen zu entdecken, doch der Blick wird dabei auf etwas Tieferliegendes, Wesentliches gelenkt.

Roni Horns fotografisches Werk ist derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, zehn Serien aus den letzten zwanzig Jahren. Neben klarer, konzeptioneller Landschaftsfotografie vorwiegend aus Island – der Wahlheimat der international renommierten Künstlerin, der zum ersten Mal in Deutschland eine Einzelausstellung gewidmet ist – steht Porträtfotografie im Mittelpunkt. Jener Bruchteil der Sekunde, der das Gesicht eines Menschen zeigt und dabei nicht nur vermeintlich sein/ihr Abbild ist, sondern eine Identität dokumentiert. Roni Horn hinterfragt, entlarvt und erhöht diese Illusion, indem sie kein Bild allein stehen lässt. Sie zeigt Bilder der Porträtierten nie singulär, sondern als Paar oder Ensemble von Bildern, die ein paar Sekunden, Minuten, Wochen oder Monate später entstanden sind.

Es sind meistens Mädchen oder junge Frauen; in ihrer großartigen Serie „You are the Weather“ gehört das nasse Gesicht der isländischen Künstlerin Margrét Haraldsdóttir Blöndal. Man sieht sie gleich hundertfach, bis zum Hals steht sie in Thermalwasser, die blonden Haare werden von einer unsichtbaren Spange gehalten, die sehr blauen Augen schauen einen direkt an. Die Bildausschnitte sind minimal verändert, die Posen, die Lichtverhältnisse variieren, jedoch kaum merklich, fast glaubt man einen „Kontaktbogen“ vor sich zu haben, aber durch den Wechsel von Schwarz-Weiß und Farbfotografie verliert sich der Eindruck der zufälligen Reihung. Und erst recht durch den ernsten Blick der Frau, die sich nicht durchschauen lassen will, ihrer transparenten Haut zum Trotz. Und tatsächlich wird sie einem vertrauter und fremder zugleich, je öfter und je länger man sie betrachtet, sie entwischt durch das streng komponierte Serielle in eine Art Zwischenreich, in eine Zone zwischen „Bewegtbild“ und „Still“.

Horn entführt den Betrachter in diesen kaum zugänglichen Bereich – ganz einfach, weil sie die etablierten Spielregeln von Porträtfotografie beziehungsweise Film kunstvoll aushebelt, auf den Kopf stellt oder sich gar darüber lustig macht. So sind in ihrer Arbeit „a.k.a“ – dem englischen Kürzel für „also known as“ – Selbstporträts von Horn in verschiedenen Lebensphasen zu sehen, die zum Teil dem Mädchen im Nebenzimmer der Ausstellung so ähnlich sind, dass man stutzig wird: Familienähnlichkeit ist schließlich auch eine Methode, die Singularität einer Person aus der Betrachterperspektive ins Schwanken zu bringen. Hier benutzt Horn – wenn man so will – einen biologischen Trick, der halt immer noch radikaler irritieren kann als jede digitale Bildmanipulation.

Das andere Mädchen ist Horns Nichte Georgia, die sie in „This is Me, This is You“ 2 x 46-mal fotografiert hat. Ein Girlie mit riesigen Augen, das mit Grimassen und Kapuzen, mit Luftballons und Rasierschaum die Wandlungsfähigkeit seines Gesichts ausprobiert. Das Mädchen wird zur Komplizin von Horns Experiment, das mit der Leichtigkeit von Teenagerquatsch daherkommt, dabei jedoch grundlegende Fragen aufwirft, über die Verbindlichkeit des fotografierten Augenblicks, über die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit des Mediums, etwas Lebendiges festzuhalten. Die 2 x 46 Bilder hängen als Installation in zwei Räumen – man kann beide Serien gleichzeitig aber nur betrachten, wenn man genau vor der Zwischenwand steht. Die Aufnahmen links und rechts sind jeweils Sekunden früher bzw. später entstanden – um ganz ernsthaft vergleichen zu können, muss man fast ein bisschen albern hin und her laufen … wie es Teenager im Museum halt manchmal tun. Intelligenter hätte man die Suche nach der fotografischen Identität des Mädchens kaum inszenieren können. Roni Horn hat eben nicht nur die Bilder produziert, sondern gemeinsam mit der Kuratorin Petra Roettig auch die Räume der Kunsthalle gestaltet.

■ Bis 14. August, Kunsthalle Hamburg, Katalog 15 Euro