GOTT UND DIE WELT VON MICHA BRUMLIK MIT GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL IM POLITISCHEN KONFLIKT : Dialektik der Anerkennung: Nahost!
VON MICHA BRUMLIK
Es ist nicht anzunehmen, dass der israelische Premier Netanjahu jemals auch nur eine Zeile Hegel gelesen hat – dabei wäre das nicht zu seinem Schaden gewesen. Ähnliches mag für den US-amerikanischen Präsidenten Obama, Wahlkönig jenes Landes, das für Hegel so zukünftig war, dass er darüber nicht philosophieren mochte, gelten.
Dass Obama den Friedensnobelpreis zu Unrecht erhalten hat, steht inzwischen fest – sein letzter Versuch, den „Friedensprozess“ im Nahen Osten voranzubringen, ist grandios gescheitert: hat er es doch mit schlafwandlerischer Sicherheit verstanden, sowohl die Israelis als auch die Palästinenser zu verärgern; jene, indem er die Grenzen von 1967 erwähnte, diese, indem er sich gegen einen möglichen Beschluss der UN Generalversammlung im September wandte, die Gründung eines Staates Palästina zu befürworten.
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass schon die UN-Resolution 181 vom 29. 11. 1947 nichts anderes vorsah als die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates sowie die Internationalisierung Jerusalems. Die gegenwärtige israelische Regierung fürchtet einen entsprechenden Beschluss im September, da er eine größtmögliche moralisch-politische Anerkennung der Palästinenser bedeutet, die Anerkennung eines bisher Unterlegenen, der dann – wenn auch nur virtuell – in der Weltgemeinschaft als vollgültige politische Person mit legitimen Ansprüchen auftreten könnte.
Ein Blick in Hegels Kapitel über „Herrschaft und Knechtschaft“ aus der „Phänomenologie“ hätte Netanjahu lehren können, dass am Ende der Unterlegene die Oberhand gewinnt und sogar behält. So ungern der Herr den Knecht als ebenbürtig anerkennen will, so wenig kann er auf ihn verzichten. Der Knecht indes, der Arbeit sowie dem Schmerz unterworfen und damit der Realität mächtig, wird am Ende den Herrn, der im Genuss seiner Güter und der Früchte der Arbeit des Knechts die Fühlung zur Realität verloren hat, überwinden.
Apologeten der Regierung Netanjahu werden einwenden, dass sich Netanjahu unter Schmerzen zu einer Zweistaatenlösung bekannt hat, und zwar dann, wenn die Palästinenser drei Bedingungen erfüllen: auf ein Rückkehrrecht für die Flüchtlinge und ihre Nachkommen sowie auf einen Teil Jerusalems als Hauptstadt zu verzichten, aber vor allem: den Staat Israel ausdrücklich als jüdischen Staat anzuerkennen.
Während Netanjahu im ersten Punkt unbedingt zuzustimmen und der zweite Punkt als Ausdruck nationalistisch-religiöser Ehrpusselei kaum ernst zu nehmen ist, unterliegt die dritte Bedingung erneut der Dialektik der Anerkennung.
Rein völkerrechtlich ist es durchaus unüblich, bei der Anerkennung von Staaten mehr zu tun, als sie in ihren Grenzen, das heißt ihrer territorialen Souveränität, zu respektieren und dem durch die Entsendung von Botschaftern Ausdruck zu verleihen. Rein völkerrechtlich aber wird durch eine solche Anerkennung weder die ethnische noch die religiöse Struktur, noch gar die Verfassung eines Staates in ihrem Bestand garantiert. Mehr zu fordern, wäre im Sinne eines den äußeren Frieden schützenden Völkerrechts widersinnig.
Allerdings muss dieses völkerrechtliche Argument heute niemanden mehr beeindrucken: unterlag doch das Völkerrecht in den letzten Jahren einem erheblichen Wandel; vor allem so, dass die Legitimität von Staaten zunehmend daran gebunden ist, dass auf ihrem Territorium die Menschenrechte und – womöglich – auch demokratische Verhältnisse herrschen. Aber sogar durch diesen Wandel des Völkerrechts wäre die Forderung an die Palästinenser, Israel als „jüdischen“ Staat anzuerkennen, nicht gedeckt.
Warum? Israel ist heute ein biethnischer, beileibe kein binationaler Staat; 20 Prozent seiner Bevölkerung verstehen sich als muslimische, christliche oder auch säkulare Araber und erheben den Anspruch, in jeder Hinsicht gleichberechtigte Bürger zu sein. Viele von ihnen wünschen, dass die direkte oder indirekte Privilegierung des jüdischen Bevölkerungsteils bei Einwanderungsregeln, der Sprache, der Vergabe von Positionen in Wirtschaft und Staat, bei der Ausübung der Religion oder auch beim Heiraten beendet wird; eine nicht unerhebliche Anzahl linksliberaler jüdischer Israelis unterstützen diese Forderungen.
Die Forderung der Regierung Netanjahu aber will einer künftigen palästinensischen Regierung vorschreiben, auf keinen Fall und unter keinen Umständen das zu tun, was jüdischen und nichtjüdischen Israelis selbstverständlich gestattet ist: für einen säkularen Staat und eine säkulare Verfassung einzutreten.
Dialektik der Anerkennung: wenn einzelne, erwachsene und mündige Personen in der Sphäre der Öffentlichkeit einander anerkennen, so respektieren sie sich in ihrem jeweiligen Sosein, ohne dieses Sosein ausdrücklich wertzuschätzen und zu garantieren. Der Wunsch, andere Menschen nicht nur in der Unverletzlichkeit ihrer äußeren Person, sondern auch noch in ihren Identitätsentwürfen zu bestätigen, bleibt der Sphäre von Liebe und Freundschaft vorbehalten. Auf den Bereich der Politik, des Umgangs juristischer Personen wie Staaten, übertragen, wirkt dieser sonst der Sphäre von Liebe und Freundschaft vorbehaltene Wunsch selbstzerstörerisch.
Die Forderung der Regierung Netanjahu nach der Anerkennung Israels als jüdischen Staat erweist sich am Ende – ganz dialektisch – als Absage an die Anerkennung eines Staates Palästina in seinen äußeren Grenzen und führt damit zur anfangs erwähnten Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft zurück.
■ Micha Brumlik ist Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt/Main und Publizist