: Ein Thüringer Technotraum
Wer sie einmal auflegen gesehen hat, vergisst sie so schnell nicht wieder. Mit einer ziemlich einzigartigen Ästhetik haben die Wighnomy Bros und das Label Freude am Tanzen Jena auf die internationale Landkarte der elektronischen Musik geholt
VON TOBIAS RAPP
Es mag das älteste Wortspiel der Gegend sein, aber wer im Frühlingssonnenwetter mit der Bahn durch das Saaletal nach Jena fährt und in Jena-Paradies aussteigt, weiß sofort, warum dieser Bahnhof so heißt. Die Probleme, mit denen sich ostdeutsche Städte so herumschlagen müssen und die einem sofort ins Auge springen, wenn man einmal da ist, hat Jena nicht. Abwanderung, wirtschaftlicher Niedergang, breitangelegte Perspektivlosigkeit: all das sucht man hier vergeblich. Die Stadt ist voll mit jungen Menschen, jeder fünfte Einwohner ist Student, schon aus der Ferne blinkt einem das riesige gläserne Hochhaus entgegen, das zu DDR-Zeiten Teil der Universität war und nun, frisch renoviert, Softwarefirmen beherbergt.
Drei Minuten braucht man zu Fuß vom Bahnhof ins Schillergässchen, eine kleine Nebenstraße, die ihren Namen wegen des Gartenhauses des Dichters hat, an dem sie vorbeiführt. Und wenn die Zeugnisse der Vergangenheit für viele ostdeutsche Städte oft schier unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg in die kulturelle Gegenwart sind – wer kommt schon gegen die Klassiker an, wer sollte vor Bach oder Goethe bestehen können? – und dementsprechend ausstaffiert werden, um diesen Mangel zu übertünchen: Hier im Schillergässchen ist es anders. Freude am Tanzen und Musik Krause haben hier ihr Büro, zwei verschwisterte kleine Plattenlabels, die in den vergangenen Jahren das Kunststück fertiggebracht haben, Jena unübersehbar auf der internationalen Landkarte der elektronischen Musik einzutragen.
„Das von diesem Standort aus zu tun und sich kein Postfach in Berlin organisiert zu haben, wie es andere Labels gemacht haben: darauf sind wir ganz schön stolz“, sagt Gabor Schablitzki dann auch. Schablitzki ist die eine Hälfte des Duos Wighnomy Bros, das Aushängeschild und der bei weitem erfolgreichste Act der Jenaer. Gerade hat er zusammen mit seinem Partner Sören Bodmer „Remikks Potpourri 2“ (Mute Records/EMI) herausgebracht, bereits das zweite Album, das eine Auswahl ihrer Remixe für andere Künstler präsentiert – von Superstars wie Depeche Mode, Underworld oder Röyskopp bis zu Kollegen wie Paul Kalkbrenner oder Matthias Tanzmann. Wenn man die beiden so vor sich hat, erinnern sie in ihrer Ruhe und Freundlichkeit so gar nicht an die beiden Berserker, als die sie weltweit die Clubs bespielen.
Denn wer die Wighnomy Bros einmal hat auflegen sehen, vergisst es so schnell nicht wieder. Zum einen fallen sie einem ohnehin auf, zwischen all den Hipstern, die mit ihren modernen Frisuren und dünnen Schals die mitteleuropäischen Clubs bevölkern. Schablitzki mit seinem akkurat gestutzten Bart, dem Seitenscheitel und seinen weiten Hemden wirkt dann eher wie ein Musiklehrer, und sein Partner mit dem wild wuchernden Haupthaar und dem Siebentagebart kommt einem vor wie Rübezahl. Zum anderen nehmen sie an einem guten Tag jeden Laden auseinander. Dann haben sie eine Flasche Wodka zwischen sich stehen, die sie ziemlich zügig leertrinken, und klopfen ein Set herunter, dem man sich nicht entziehen kann.
Es ist nicht nur eine Freude, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie sich auf eine unnachahmliche Weise gleichzeitig hochkonzentriert und neben der Spur an den Plattenspielern abwechseln und manchmal euphorisiert in die Höhe springen, wenn sie den Bass nach einem mehrtaktigen Aussetzer wieder hineinknallen lassen. Vor allem haben sie die große DJ-Fähigkeit, das Tanzflächengeschehen durch den intuitiven Dialog mit dem Publikum immer weiter zu intensivieren. Diese brutal stumpfe und gleichzeitig feinstsensible Kunst, noch die kleinsten Regungen der Tanzfläche wahrzunehmen und mit den nächsten Platten weiterzuführen, zu unterbrechen oder zu verstärken: Gabor Schablitzki und Sören Bodmer beherrschen sie. Damit sind sie überall auf der Welt gerne gesehene Gäste. Jedes Wochenende spielen sie woanders.
Es ist ein eigener Stil, den die beiden (oder Schablitzki alleine unter seinem Pseudonym Robag Wruhme) entwickelt haben: fest in der minimalistischen Ästhetik verankert, für die deutsche Produktionen gegenwärtig überall auf der Welt geschätzt werden, aber mit einem eigenen Dreh. Ob die Stücke eher House oder Techno zuneigen, ob sie angeschaffelt sind oder schlicht geradeaus marschieren, immer sind sie von einem sofort erkennbaren Gefühl für Hallraum getragen, der von Klangflächen definiert wird. Selten wird die Hihat eingesetzt. Was eine Kombination ergibt, für die einem in ihrer Dreckigkeit und eckigen Musikalität nichts Besseres als das Attribut „krautig“ einfällt. Die aber auf der Tanzfläche unnachahmliche Wirkung entfalten kann.
Die Musik entsteht ebenfalls hier im Schillergässchen: In einem kleinen Nebenraum hat Schablitzki sein Studio. Das Gebäude wiederum gehört eigentlich den Grünen und gibt diversen Organisationen Raum – vom BUND bis zu der Antifagruppe, die an diesem Tag ein großes „Kapitalismus abschaffen“-Transparent in einem Nebenzimmer malt. Im Erdgeschoss findet sich fatplastics, der zu den zwei Labels gehörige Plattenladen.
Schablitzki ist in der Nähe von Jena aufgewachsen. Schon in der Schule war ihm klar, dass er musikalisch begabt ist, die Lehrer förderten sein Talent, er wollte Kunst und Musik studieren. Dann kam die Wende und auf Drängen seiner Eltern gab er diese Pläne auf, um „etwas Vernünftiges“ zu lernen. Das funktionierte zwar nicht, Schablitzki brach mehrere Ausbildungen ab, erwies sich dann aber indirekt doch als Segen: Zu guter Letzt landete er nämlich als Zivildienstleistender im Kassablanca, oder „Kassa“, wie man in Jena sagt. Ein ehemals besetztes Kulturzentrum und die Keimzelle der Jenaer Szene, fast alle Betreiber oder Künstler von Freude am Tanzen haben hier irgendwann einmal gearbeitet.
Womit alle Orte umrissen wären, um die herum Freude am Tanzen sich organisiert. Aus der Ferne mag der Erfolg zwar wie ein Märchen aus der ostdeutschen Provinz aussehen. Ist man einmal da, stellt man fest, dass er genau das natürlich nicht ist. Er ist hart erarbeitet, gut organisiert und klug in die Strukturen vor Ort eingebettet. Und auch wenn viele der international gerade so erfolgreichen deutschen Produzenten vor so ähnlichem Hintergrund agieren, dass es fast ein generationelles Muster ergibt: Nach intensiver Depeche-Mode-Exegese als Teenager gibt es immer das Techno-Erweckungserlebnis, die Reise nach Berlin, die ersten selbst organisierten Partys zu Hause, dann wird ein eigener Plattenladen eröffnet, man fängt an selbst Musik zu machen und gründet ein Label, um sie auch unters Volk zu bringen. In vielen Dingen heben sich die Jenenser ab. Nicht zuletzt in einem speziellen Gefühl für das Lokale, was der glücklichen Verankerung in der Stadt geschuldet sein dürfte, was sich aber vor allem so überaus deutlich vom Lufthansa-Weltbürgertum ihrer westdeutschen Kollegen unterscheidet.
Da ist etwa die sprachliche Oberfläche. Freude-am-Tanzen-Produktionen tragen gerne Titel wie „Wortkabular“, was ungefähr umreißt, wie Schablitzki und Bodmer ihre Titel zusammenkramen, als vielschichtige Wortspiele nämlich. „Um unser Englisch ist es nun mal nicht zum Besten bestellt“, sagt Schablitzki, „wir haben Russisch gelernt, aber das können wir auch nicht mehr.“ So wird aus einem amerikanischen Hiphop-Reim, der ein Stück als Sample trägt, das lautmalerische „Pusta Reime Im Knubbelbenz Verfahren“. Gleichzeitig ist Gabor Schablitzkis Pseudonym Robag Wruhme aus der Verdrehung des Vornamens und aus einer Bearbeitung des Worts „Wrumme“ entstanden, der thüringischen Variante von „Warum“. Diese ganz eigene Poesie findet sich in fast allen Titeln, ein Remix heißt „Im Ruminativen Parfum Rework“, was auch immer das nun wieder bedeuten mag.
Aus der medialen Wahrnehmung mag Techno lange abgetaucht sein, mag seinen aufmerksamkeitsökonomischen Höhepunkt mit der Love Parade erreicht haben, um dann wieder zu verschwinden, wie das Jugendkulturen eben so zu tun pflegen. Tatsächlich geht es der elektronischen Musik in Deutschland aber heute besser denn je. Im Nachhinein kommen einem die Neunziger eher wie Jahre der Vorbereitung auf jene Blütezeit vor, die diese Musik seit der Jahrtausendwende erlebt. Inklusive massiver tektonischer Verschiebungen: Das Zentrum dieser Musik hat sich von den USA und England nach Mitteleuropa verschoben. Vor allem nach Berlin, Frankfurt und Köln. Aber eben auch nach Jena.