: Genug Bewegung im Haushalt
Die Geschichte des Frauensports ist geprägt von Verboten und absurden medizinischen Vermutungen. Bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit waren Athletinnen ausgeschlossen – heute kämpfen Frauen auch im Ringen um Medaillen
VON JUTTA HEESS
Wenn ein Junge nicht werfen kann, ist das dramatisch. Und sieht nicht gut aus: Er klappt die Hand auf die Schulter, schiebt den Ellenbogen spitz nach vorne und lässt den Ball mehr oder meist weniger weit nach vorne kullern. Schlimmstenfalls macht er noch einen kleinen Hüpfer dabei. Jungen, die nicht werfen wie ein Speerwurf-Olympiasieger oder wenigstens wie ein Mann, müssen sich daraufhin anhören: „Du wirfst wie ein Mädchen.“
Was auf jedem Schulhof die Schleuderbälle auf ihrem kurzen Flug begleitet, hat eine lange Tradition. Frauen und Sport, das geht gar nicht. Nicht nur, dass sie es nicht können und sich dabei lächerlich machen, nein: Sport schadet dem weiblichen Körper. Noch im 19. Jahrhundert wurde das so gesehen. Frauen war sportliche Betätigung untersagt – Männer hingegen durften sehr wohl rennen, rudern und reiten. Während der Industrialisierung boomte vor allem in England Sport als Freizeitspaß. Frauen standen lediglich dekorativ am Ufer oder Spielfeldrand. Aus der Puste kamen sie höchstens dank eng geschnürter Korsetts.
Zudem wurden den Frauen von Medizinern Angst eingejagt: „Ungezügeltes Rennen, Klettern oder Hüpfen können bei allzu großer Erschütterung die weiblichen Fortpflanzungsorgane funktionsuntüchtig machen.“ Deshalb empfahlen Ärzte jungen Mädchen, „das Jahr vor und zwei Jahre nach der Pubertät ruhend zu verbringen“. Vor gynäkologischen Schäden wie einer „Lageverschiebung der Gebärmutter“ wurde gewarnt. Überhaupt: Durch das Wirken im Haushalt bekämen Frauen doch ausreichend Bewegung, meinte eine amerikanische Ärztin 1889.
Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Britinnen das Hausfrauenturnen satt. Sie durften auf Gartenfesten sanft den Cricketschläger schwingen und kamen auf den Geschmack. Der Kampf gegen Moral, Mode, Medizin und Männer begann. Die reagierten entsetzt auf die Befreiungsschläge der Frauen. So riet Donald Walker in seinem Handbuch „Physical Exercises for Ladies“ zu gleitenden, tänzelnden und gymnastischen Übungen. Das Reiten aber „verroht amazonenhaft Stimme und Teint, verdreht den Körper im obligaten Damensattel auf höchst unnatürliche Weise, verleiht männliches Gebaren und ruft eine unnatürliche Verfestigung der Knochen der unteren Körperhälfte hervor, was zukünftigen Funktionen auf das schrecklichste entgegensteht, auf die weiter einzugehen sich erübrigt“.
Die Athletinnen ließen sich jedoch nicht mehr abschrecken. Martina Bergmann-Österberg eröffnete 1885 in London eine Schule zur Ausbildung von Sportlehrerinnen. Ihre „teachers of physical education“ unterzogen sich einem nahezu militärischen Training, um anschließend an den Mädchenschulen Sport zu unterrichten. Damit bekamen die weiblichen Leibesübungen gesellschaftliche Relevanz. Frauen und Mädchen turnten, fochten und schwammen sich frei. Alles in Würde – allzu große Anstrengungen, Schweißausbrüche gar standen den Damen immer noch nicht zu. Immerhin schien jetzt „ein gerüttelt Maß an muskulärer Übung von großer Wichtigkeit für die gesunde Entwicklung des Körpers wie auch des Verstandes“ zu sein – diesen Rat brachte 1900 das Journal for Gentlewomen unter die Frauen.
Bis es so weit war, dass das „schwache Geschlecht“ seine Kräfte in Wettkämpfen messen durfte, floss noch allerhand Frauenschweiß außer Konkurrenz. Bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen waren keine Sportlerinnen zugelassen. Ob es jene Frau mit dem Namen Melpomene, von der erzählt wird, dass sie aus Protest gegen den Ausschluss von Frauen heimlich beim Marathon mitgelaufen ist, ist nicht verbürgt. Der Gründer des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Baron de Coubertin, hatte ohnehin seine eigene Sichtweise: „Olympische Spiele sind ein Ausbund männlicher Athletik, und der Beifall der Frauen ist deren Lohn.“ Der sportliche Olymp war für Frauen lange unerreichbar. Nur an kleineren Veranstaltungen durften sie teilnehmen – an einem Fahrradrennen in Berlin im Jahr 1904 etwa. Die Siegerinnen wurden in der Presse nur mit Vornamen erwähnt, da es ihren Familien „unmöglich angenehm sein kann, wenn ihre Namen in dem Bericht öffentlich genannt werden“.
Weitere acht Jahre dauerte es, bis Athletinnen ihre erste Disziplin bei Olympia erstritten hatten. 1912 gab es in Stockholm Schwimmwettkämpfe für Frauen. 1921 gründeten französische Sportlerinnen den internationalen Frauensportverband (FSFI) und veranstalteten ein Jahr später in Paris die ersten „Olympischen Spiele für Frauen“. Vehement forderten sie die Aufnahme in den olympischen Kreis. Mit Erfolg: 1928 durften sie in Amsterdam bereits in fünf Disziplinen der Leichtathletik (100 m, 800 m, 4 x 100-m-Staffel, Hochsprung und Diskuswerfen) antreten.
In Deutschland wurde der Frauensport zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht aus Gründen der Gleichberechtigung gefördert. Die Deutsche Frauen-Turn- und Sportzeitung munterte ihre Leserinnen zur körperlichen Ertüchtigung auf, damit ja kein „kraftloses Geschlecht“ heranwachse. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten den Sport und nutzten 1936 die Olympischen Spiele in Berlin zur massiven Propaganda für die „gesunde deutsche Rasse“. Dafür war ihnen jedes Mittel recht – und so gab es in den 30er-Jahren erste Dopingfälle, auch im Frauenkader.
Damit erreichte der Frauensport endgültig eine neue Qualität – nun rangen die Sportlerinnen nicht mehr ausschließlich um eine Startberechtigung, sondern sie kämpften um Medaillen. Höher, schneller, weiter – das waren die Ziele der Wettkämpferinnen und ihrer Betreuer. Mit männlichen Sexualhormonen wurden Frauen zu Höchstleistungen gepusht – von Nebenwirkungen war nicht die Rede. Die Sportlerinnen riskierten massive Gesundheitsschäden, obwohl sie sich seit 1966 bei Wettkämpfen sogenannten „Sex-Tests“ unterzogen und die Doping-Kontrollen seit den 80er-Jahren noch einmal verschärft wurden. Auf leistungssteigernde Hormone wollen dennoch viele Athletinnen nicht verzichten.
Der Frauensport entwickelte sich in gut 100 Jahren vom sachten Ausschreiten zum knallharten Geschäft. Fast alle Disziplinen werden mittlerweile auch von Frauen ausgeübt. Seit 2004 sind Ringen und Säbelfechten für Frauen olympisch. Sport ist längst auch Frauensache geworden. Doch wirklich gleichberechtigt ist der Frauensport nicht. Im Ansehen der Öffentlichkeit hinken die Athletinnen den Männern in der Regel noch hinterher.