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Archiv-Artikel

Für jeden Sultan eine Krönung

Er ist der bunteste Hund von Istanbul: Der Star-Percussionist Burhan Öcal verfolgt tausendundein Projekte zwischen Roma-Jazz und Elektrofolklore und ist ein Freund starker Worte. Mit seinen Trakya All Stars tanzt er nun auf einer Hochzeit in seiner Heimatregion

VON MARC WILHELM

„Die richtigen Istanbuler gibt es gar nicht mehr. Die sind alle ausgewandert“, beklagt sich der Mann mit der überdimensionalen Sonnenbrille und klimpert mit den Fingern auf dem Tisch. „Jetzt kommen die ganzen Leute aus Anatolien und von der Ägäis in die Stadt, werden reich und arrogant. Sie sind die größte Gefahr für die Türkei – viel gefährlicher als die Fundamentalisten.“

Burhan Öcal ist mal wieder in Fahrt. Und er setzt noch eins drauf: „Diese Neureichen ignorieren unsere Geschichte, aber wenn es ihnen passt, ziehen sie ihren Nutzen: Modedesigner bemühen osmanische Motive, Musiker bereichern sich an Sufi-Traditionen. Die reine Umweltverschmutzung.“ Zack, hat er auch noch einen Seitenhieb gegen Mercan Dede gelandet, den hippen, in Kanada lebenden Türken, der seine elektronischen Kompositionen mit Anleihen bei Derwischtänzen aufpeppt. „Religion fürs Bierzelt“, so Öcals Verdikt.

Burhan Öcal ist nicht für seine Diplomatie bekannt. Die beliebte Popsängerin Sezen Aksu nannte er einmal eine „gefährliche Schlange“, und als ihn Fatih Akin in seinem Istanbulfilm „Crossing The Bridge“ aufnehmen wollte, beanspruchte er gleich die Hauptrolle, weshalb ihn der Regisseur am Ende lieber außen vor ließ. Kino- und TV-Star ist der Musiker trotzdem geworden. Klickt man seine Website an, spult sich ein fast grotesk wirkender Clip ab, in denen Burhan Öcal den Anführer einer Mafia-Bande mimt – eine Szene aus seinem letzten Film. Und mit unverhohlenem Stolz erzählt er, dass 22 Millionen Zuschauer seinen letzten TV-Streifen gesehen hätten. Nein, gegen Überheblichkeit und Stargehabe ist der Perkussionist, Multiinstrumentalist und Komponist Burhan Öcal alles andere als immun.

Dabei ist durchaus verständlich, dass ihn manches an der türkischen Musikszene wie auch an der Entwicklung, die seine Heimatstadt genommen hat, nervt. In Istanbul ist er aufgewachsen, auch wenn er ursprünglich in Thrakien, dem europäischen Zipfel der Türkei, zur Welt kam. Seine Mutter stammte aus Konya, dem religiösen Zentrum der Türkei: Von ihr erhielt er unfreiwillige Lehrstunden im Korangesang. Der Vater bereitete ihn dagegen auf das Weltliche vor: „Er hatte drei Kisten voller Gold geerbt und damit ein Kino aufgemacht sowie nebenbei das erste Jazzquartett Istanbuls gegründet. Ich wuchs mit der nostalgischen Begeisterung für Clark-Gable-und Humphrey-Bogart-Filme auf und habe seine Liebe zum US-Jazz geerbt, aber durch die Zigeuner auch orientalische Musik aufgeschnappt. Die waren in unserem Kino angestellt und haben dort Schuhe geputzt und Kürbiskerne verkauft.“

Früh war klar, dass der Rhythmus Burhan Öcals Berufung ist. Als Halbwüchsiger fertigt er seine ersten Instrumente aus Flaschen, Plastiksäcken und Abfällen aus der Röntgenabteilung des Krankenhauses. Schon in der Schule eckt er an, da er sich den Lehrern nicht unterordnen will. Mit seiner ersten Band spielt er Beatles-Songs und Bebop-Jazz, aber auch Roma-Musik. Und er revolutioniert die Darbuka, die orientalische Handtrommel, indem er sie wie ein Drumset aus der Rockmusik einsetzt.

Europa lockt den Weltenbummler. In den Neunzigern lässt sich Öcal in Zürich nieder und unternimmt von dort aus Ausflüge in den Jazz und die klassische Musik des Abendlandes. Zu seinen Partnern werden die Pianistin Maria João Pires, das Kronos Quartet und das Zürcher Kammerorchester, aber auch Jazzmusiker wie Joe Zawinul, der Bassist Jamaladeen Tacuma und der Schweizer Bigbandleader George Gruntz. Zugleich bleibt er der türkischen Musik treu: Mit der Langhalslaute Tanbur huldigt er der Musik des Osmanischen Reichs. Und mit dem Frankfurter Musiker Peter Kuhlmann beginnt er das größenwahnsinnige Projekt, jedem der 36 Sultane, die es einst beherrscht haben, eine eigene Platte zu widmen. Inzwischen sind sie bei der dritten angelangt, der Sound bewegt sich zwischen Kesselpauken, Gedichtrezitationen, Techno und Ambientestrukturen. „Ich lebe im 21. Jahrhundert, also kann ich die Technologie nicht ignorieren“, rechtfertigt sich Öcal. „Aber auf der anderen Seite kann ich meine Tradition, meine Vergangenheit, erst recht nicht verleugnen.“

Großen Wert legt Öcal auf Seriosität im Umgang mit dem historischen Erbe: „Mir geht es nicht um etwas schnell Konsumierbares, wie Eiscreme.“ Erst kürzlich hat er führende Koransänger und Muezzins zusammengebracht, um mit ihnen sufistische Sema-Rituale auf die Bühne zu bringen. Aber das ist nur eines von tausendundeinem Projekten. An erster Stelle steht natürlich sein Istanbul Oriental Ensemble, mit dem er in Deutschland bekannt wurde und in dem er die Erste Liga der Roma-Musiker Istanbuls um sich scharte. Mit ihnen widmete er sich zuletzt Istanbuls „Großem Basar“, dessen Szenerie er mit Klarinette, Geige, Hackbrett und Laute nachzeichnete, duftend und ein wenig nostalgisch.

Mit dem Tunesier Smadj, der vor ein paar Jahren an den Bosporus zog, und den Roma-Musikern seines Geburtsorts Kirklareli ist er dagegen jüngst an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. „Wenn es irgendwo eine Schaltstelle zwischen Europa und Asien gibt, dann hier in Thrakien“, meint Burhan Öcal. „In der Musik dieser Region vereinen sich griechische, albanische, bosnische und türkische Elemente.“ Das „Trakya All Stars“-Album fügt der zurzeit sehr beliebten Balkanmusik eine südliche Note bei. Er klingt auch weit weniger aufdringlich als die auf Virtuosität und Schnelligkeit ausgelegten Alben rumänischer Blaskapellen wie der Fanfare Ciocarlia oder des Kocani Orkestars. Schalmeien, Trompeten und Saxofone gehen mit dem elektronischen Neuentwurf von Smadj eine schlüssige Synthese ein.

Die diese Musik ironischerweise gerade jenen Yuppies in Istanbul gefallen könnte, die ihm so auf die Nerven gehen, ficht Öcal nicht an. Denn bei allem Jammern über Werteverfall und die Geschmacklosigkeit der Konkurrenz – letztlich ist er ein Optimist: „Unser Potenzial ist die Jugend. Zwei Drittel der türkischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Mit ihnen könnten wir schon in einem Jahrzehnt die ökonomischen und ethnischen Probleme unseres Landes bewältigt haben – egal ob wir in die EU kommen oder nicht.“

„Trakya Dance Party“ (Doublemoon/Rough Trade) mit den Trakya All Stars und Smadj. „Grand Bazaar“ mit dem Istanbul Oriental Ensemble (Network). Mehr unter www.burhanocal.com