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Archiv-Artikel

Im Wühltisch der letzten Minuten

Vier Spieler des VfB Stuttgart entscheiden ein fantastisches Fußballspiel im Ruhrstadion und damit das Rennen um die deutsche Meisterschaft. Beim VfL Bochum entscheiden sich zwei bis vier Leistungsträger für einen Vereinswechsel

BOCHUM taz ■ Von draußen dröhnten die Lieder, drinnen wurde getuschelt, als Stuttgarts Trainer Armin Veh zur Pressekonferenz Platz genommen hatte. Für Minuten herrschte eine fast sakrale Stimmung, es wurde gehüstelt – in seinem schlichten Anzug mit weißem Hemd sieht Veh wirklich aus wie ein calvinistischer Prediger. Geduldig studierte der 46-jährige den Zettel mit der Spielstatistik, bis endlich sein Bochumer Kollege Marcel Koller eintraf. Veh, fast schon Meistertrainer, hat gelernt zu warten. Warum sollte ein Triumph etwas daran ändern?

Genauso geduldig wie ihr Coach hatten die VfB-Spieler zuvor die Nackenschläge im Ruhrstadion weggesteckt: Die frühe Führung eines sorglos aufspielenden VfL, den zweiten Gegentreffer vor der Halbzeitpause, ja, sogar den Resignationsfußball im Sturzregen nach Wiederanpfiff. Erst hämmerte das mentale Kraftpaket Thomas Hitzlsberger ein Zuspiel von Cacao unter die Latte. Dann tauchte Mario Gomez nach zehn Wochen Pause wieder auf und ab: Sein Kopfball über der Grasnarbe brachte das zwei zu zwei. Wenig später drehte Cacao das Spiel im Strafraum und spitzelte den Ball ins linke Eck. Die letzten zehn Minuten gehörten dem scheidenden Stuttgarter Torhüter. Verwegen schnappte sich Timo Hildebrandt alle Flanken, kühn warf er sich der letzten Ausgleichschance von Christoph Dabrowski in den Weg. Vier Szenen, die das Spiel entschieden. Vier Stuttgarter, die den Unterschied machen – nicht nur gegen Bochum.

Auch der VfL hat solch herausragende Kräfte. Unter Druck traf Sportmanager Stefan Kuntz seine besten Entscheidungen: Kurz vor Transferschluss holte er im August erst den Griechen Theofanis Gekas, der am kommenden Samstag wohl zum Torschützenkönig der Bundesliga wird. Im Winter lotste Kuntz auch noch Keeper Jaroslav Drobny, Stürmer Joël Epalle und Abwehrspieler Anthar Yahia ins Revier. Und um die Vier vom Last-Minute-Wühltisch bildete sich eine Mannschaft, die schließlich sogar von einer Teilnahme am UEFA-Cup träumen konnte. Bis Samstag um halb sechs.

Trainer Koller sprach hernach mit einer Mischung aus Stolz und Trauer darüber, wie wichtig es sei, „auf dem Boden“ zu bleiben. Doch sein Verein hatte längst das seine dafür getan. Rekordverdächtige sieben Profis wurden vor der Ostkurve verabschiedet, darunter Mitläufer wie Torwart Alexander Bade und Unverabschiedbare wie Bochums Fußballsenior Dariusz Wosz, der als Jugendtrainer im Verein verbleibt. Zwei Abschiede tun nicht nur Koller richtig weh: Gekas wechselt nach Leverkusen, um dort dreimal so viel zu verdienen. Spielt der Grieche jedoch so weiter, wird auch Bayer den rasenden Kopfstürmer nicht halten können. Dünneren Applaus bekam Zvjezdan Misimovic, dabei wird der Abgänger nach Nürnberg, ein Mehmet Scholl in Langsam, die größte Lücke beim VfL reißen. Weil auch Torhüter Drobny und Epalle weit über dem Durchschnitt der unteren Tabellenhälfte kicken, hätte man beide wohl auch schon einmal prophylaktisch mitverabschieden können.

Während der VfL Bochum also mit Wehmut die neue Saison plant und Ersatz für seine „zwei, drei Stützpfeiler“ (Koller) sucht, mochte der VfB nicht einmal über den nächsten Spieltag hinausdenken. Gegen Cottbus reicht ein Remis für den Titel, doch der gemütsruhige Veh predigte Wasser für die Rückfahrt, es seien schon zu viele in dieser Saison Meister gewesen. Nur ein italienischer Journalist lockte den potenziellen Meistermacher aus der Reserve, ob er sich nicht doch ein wenig Wein gönne, fragte der Gazzetta-Mann besorgt. Die Lieder von draußen wurden lauter und Veh sagte, „eine Flasche Wein werde ich trinken“. CHRISTOPH SCHURIAN