: Die Kunst der Dynamik
Am Donnerstagabend trat der legendäre Jazzpianist in der Philharmonie auf. Einst spielte McCoy Tyner mit John Coltrane. Die Schritte werden langsamer, sein Anschlag ist immer noch unübertroffen
VON TOBIAS RAPP
Er ist alt geworden. Vor einigen Jahren war er noch ein freundlich lächelnder Herr mit leichtem Bauchansatz, aber als der Pianist McCoy Tyner nach seinem Auftritt in der Philharmonie am Donnerstagabend mit sehr langsamen Schritten in Richtung Garderobe schlich, hatte man bei aller Begeisterung fast schon ein schlechtes Gewissen, ihn noch einmal für eine Zugabe herauszuklatschen. Und so blieb es bei einem zusätzlichen Stück, nach etwas mehr als einer Stunde war der bemerkenswerte Auftritt vorbei.
69 Jahre ist er im Dezember geworden. Und dieser langsame Gang war umso erstaunlicher, als McCoy Tyners Spiel nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. Er trat mit seinem Trio auf, dem Bassisten Gerald L. Cannon und dem Schlagzeuger Eric Kamau Gravatt, die mit ihrer tighten und kraftvollen Art zu spielen, ihren Improvisationen, die sich immer nah am Thema hielten, gut zu ihrem Chef passten. Tatsächlich war er vom ersten Augenblick an da: dieser ganz spezielle McCoy-Tyner-Sound. Diese glückliche Kombination von Tyners unglaublich lautem und kraftvollem Anschlag, mit seiner Gabe, in der Improvisation Intensität aufzubauen und wieder abschwellen zu lassen, kurz: sein umfassendes Gefühl für musikalische Dynamik. Diesen Klang erkennt man sofort. Und er wirkt heute noch wie vor 45 Jahren, als seine Karriere zu ihrem Höhenflug ansetzte.
Berühmt wurde er als Pianist des John-Coltrane-Quartetts von 1960 bis 1966. Er begleitete Coltrane auf fast allen Platten jener Jahre, auch auf „A Love Supreme“, dem vielleicht bekanntesten Jazzalbum der Sechziger. Nachdem er bei Coltrane ausgestiegen war, begann er unter eigenem Namen zu touren und aufzunehmen, erst für Impulse! und Blue Note, dann für Milestones. Er war einer der erfolgreichsten Jazzpianisten der Siebziger, was im Nachhinein oft vergessen wird, weil man ihn vor allem mit seiner Arbeit für Coltrane verbindet.
Tatsächlich gründete der Erfolg auch in genau dieser Tradition: McCoy Tyner wanderte weder in die Rockjazz-Gefilde des Fusion ab („Elektrische Musik ist schlecht für deine Seele“, sagte er mal in einem Interview), noch wurde er allzu abstrakt und free – er schritt weiter auf dem von Coltrane gewiesenen Weg. Er verband die spirituelle Deepness mit den verschiedenen Ausdrucksformen der künstlerischen Avantgarde, die die Jazzgeschichte hervorgebracht hatte, außerdem öffnete er seinen Sound sachte für nichtwestliche Einflüsse. Wenn man so will, hatte er den nervösen Coltrane auf der linken Hand und den souveränen Ellington auf der rechten Hand.
So spielte er auch in der Philharmonie – und was einen immer wieder in Erstaunen versetzen konnte, war, wie klassisch dieser ästhetische middle ground der Siebzigerjahre heute klingt. Deshalb hatte es durchaus seinen Sinn, diese Musik in der (sehr gut gefüllten) Philharmonie stattfinden zu lassen. Es ist die große klassische Musik der Vereinigten Staaten.
So gesehen hatte es aber auch einen leicht melancholischen Beigeschmack. Denn von der reinen Freude an der Musik abgesehen, kam einem der Auftritt manchmal auch vor, als würde hier aus einem ganz weit entfernten Zeichensystem herübergefunkt. Aus Zeiten, als die ästhetische Avantgarde selbstverständlich in der afroamerikanischen Community verankert war. Und dies wiederum eine vitale Beziehung zum urbanen Raum als utopischem Ort hatte.
Der ganze Abend war Teil der Berliner JazzNights. Interessanterweise bildete die neue Gruppe des Schlagzeugers Roy Haynes die Vorgruppe für McCoy Tyner – und obwohl Haynes noch mal 11 Jahre älter ist (er hat 1949 schon für Charlie Parker Schlagzeug gespielt!), machte er einen sehr viel agileren Eindruck. Es hatte zwar lange nicht die Klasse des McCoy-Tyner-Trios und deren feinjustierter Trance-Maschine. Aber wie Roy Haynes nach einem Schlagzeug-Solo aufsprang, auf seinen schwarz-orange geringelten Socken über die Bühne hüpfte, dabei mit den Drumsticks den Takt klopfte und um seine drei Musiker herumhüpfte: Das hatte seinen ganz eigenen Charme.