: „Wir sind jetzt keine ausländische Partei mehr“
Gregor Gysi, Chef der Linksfraktion im Bundestag, über den Erfolg in Bremen, den veränderten Zeitgeist und die Drolligkeit von Kurt Beck
GREGOR GYSI, Jahrgang 1948, ist zusammen mit Oskar Lafontaine der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei. In seinem Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick gewann er bei der vergangenen Bundestagswahl mit 40,4 Prozent der Stimmen das Direktmandat.
taz: Herr Gysi, fast 18 Jahre lang haben Sie vergeblich um den Westen gekämpft. Jetzt ist die Linkspartei zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament eingezogen. Haben Sie still und heimlich schon ein paar Freudentränen vergossen?
Gregor Gysi: Nein, wenn ich weine, dann nicht heimlich. Außerdem war mir am Sonntag nicht zum Heulen. Das, was in Bremen passiert, halte ich für ein wirklich bedeutendes Ereignis.
War es auch eine persönliche Genugtuung für Sie?
Selbstverständlich. Ich hatte 2004 eigentlich schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass uns der Durchbruch im Westen gelingen könnte. Mir war klar, dass die PDS eine Übergangsfunktion als Vertreter ostdeutschen Interessen hat, und diesbezüglich spielten wir auch eine wichtige Rolle. Aber ich hatte mich dabei mit den 1-Prozent-Ergebnissen in Westdeutschland bereits abgefunden. Erst als unter Schröder die Entsozialdemokratisierung der SPD einsetzte und sich die WASG gründete, hatte ich wieder Hoffnung. Mir war sofort klar: Wenn wir mit der WASG zusammengehen, wird sich auch die PDS ein ganz anderes Niveau der Akzeptanz erschließen können.
Nicht wenige in der PDS halten die WASG für einen traditionsorientierten Chaotenhaufen. Werden diese Zweifler an der Fusion jetzt verstummen?
Sie werden jedenfalls kein Gehör mehr finden. Es gibt ja in beiden Parteien sehr unterschiedliche Sichten aufeinander. Das ist völlig normal – zwar wissen alle, dass die Vereinigung notwendig ist, aber nicht alle wissen, was dann aus ihnen wird, aus ihren Posten und Funktionen. So ist nun einmal das Leben. Spätestens seit Bremen wissen alle: Nur gemeinsam sind wir stark. Es mag Ausnahmen geben, aber die sind jetzt chancenlos.
Ihrer Partei ist der Durchbruch in einem kleinen Stadtstaat gelungen, und Sie sprechen gleich von europäischer Normalisierung. Haben Sie es nicht eine Nummer kleiner?
Nö, ich sowieso nicht, außerdem habe ich auch keine Lust dazu. Europäische Normalisierung meint doch Folgendes: Nach Jahrzehnten eines tief verwurzelten Antikommunismus in der alten Bundesrepublik hat sich zum ersten Mal eine Partei links von der SPD etabliert. Das war hierzulande bislang unvorstellbar, in anderen Ländern hingegen völlig normal. Das Eis ist bereits bei der Bundestagswahl 2005 gebrochen worden. Bremen ist dafür eine Bestätigung. Zum ersten Mal mussten wir den Beweis antreten, dass es sich lohnt, uns auch im Westen in einen Landtag zu wählen. Jetzt schauen wir auf Hessen, Niedersachen, Bayern und Hamburg.
Worin genau besteht der Durchbruch? Ist er ein mentaler für Ihre Partei? Oder verändern Sie auch die Politik in Deutschland?
Zunächst einmal ist es ein kultureller Sprung für uns und unsere Wähler. Die PDS galt im Westen doch immer als eine ausländische Partei. Durch das Hinzukommen von Oskar Lafontaine und der WASG sind wir plötzlich zu einer inländischen, zu ihrer Partei geworden. Sie wählen jetzt eine Partei links von der SPD – keine Ostpartei.
Aber was macht die Linkspartei aus ihrem Erfolg? Wollen Sie immer nur Unruhestifter im Parlament sein? Opposition bis 2020?
Ich komme aus einem Land, in dem es so lange ruhig war, dass es die Leute da irgendwann nicht mehr ausgehalten haben. Unruhe zu stiften, ist außerordentlich wichtig. Man darf das auch nicht so eng sehen. Ich regiere auch gerne mit, wenn die Umstände es erlauben. Aber Regieren ist eben nicht alles, auch in der Opposition kann man verändern. Im Bundestagswahlkampf 2005 hat keine einzige Partei außer uns über den Mindestlohn geredet. Jetzt tut die SPD so, als hätte sie ihn erfunden. Ohne unseren Druck wäre das undenkbar. Veränderungen werden angestoßen, indem man den Zeitgeist verändert. Und der Zeitgeist hat die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Folgt man dieser Logik, dann kommt die SPD gar nicht umhin, sich wieder mehr nach links zu orientieren. Haben Sie keine Angst?
Wenn ich Kurt Beck sehe, fürchte ich mich vor gar nichts. Wie er gleich fünf Minuten nach der Wahl sagt, dass die SPD nichts mit der Linkspartei anfangen wird – drollig. Damit bauen sie uns nur auf. Mit Beck, Müntefering und Struck wird sich gar nichts mehr ändern. Das Problem löst erst die nächste SPD-Generation. INTERVIEW:
JENS KÖNIG, DANIEL SCHULZ