: Die Funktion einer Blume für die Liebe
BRUTSTÄTTE Das bolivianische Straßentheater Teatro Trono ist mit seiner „Kinderkulturkarawane“ in Deutschland auf Tournee. In ihren Miniaturstücken verarbeiten sie ihr Leben in den Armenvierteln von El Alto
VON THOMAS PAMPUCH
Es ist ein weiter Weg von El Alto in Bolivien bis Neustadt an der Weinstraße. Doch für Luís und Janis, Caleb und Anai und die anderen Jugendlichen vom Teatro Trono scheint dieser Weg etwas ganz Normales zu sein. Jedenfalls bemerken die über 100 Zuschauer im Gemeindesaal der St.-Bernhard-Kirche in Neustadt an der Weinstraße nicht das geringste Fremdeln. Im Gegenteil: Die lebendige Schauspieltruppe aus den Anden heizt ihnen trotz Jetlag einen Abend lang derart ein, dass es schwer werden wird für die nächsten darstellenden Künstler: Teatro Trono setzt Standards. In puncto Fröhlichkeit ebenso wie in puncto Kritik.
Dass das Ganze unter dem – etwas irreführenden – Tourneetitel „Kinderkulturkarawane“ läuft, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier begabte junge Profis am Werk sind, die keineswegs nur für Kinder spielen. Mit einfachsten Mitteln – bunten Hosen, roten Clownsnasen, ein paar Tüchern, vielen Trommeln und Flöten – entfalten sie gelungene kleine Szenen: ein bisschen wie Marcel Marceau, aber nicht so stumm, ein bisschen wie die Commedia dell’arte, aber mit weniger Masken, und mit vielem vom lateinamerikanischen Straßentheater, das sie in Bolivien ja betreiben. Die Themen ihrer Miniaturstücke, von den Akteuren gemeinsam entwickelt, betreffen alle Aspekte des Lebens im Alto und darüber hinaus. Es geht um Diskriminierung und das Leben auf der Straße, um die Veränderungen durch die Modernisierung, aber auch mal um die Funktion einer Blume für die Liebe oder um den „Señor Presidente“.
Das alles wird präsentiert in einem pantomimischen Furioso, kombiniert mit einem komischen, überall auf der Welt verständlichen Soundtrack. Manch deutscher „Comedian“ könnte bei den sprühenden Alteños noch etwas lernen. Das wäre sogar möglich, denn auf ihrer Tournee, die die jungen Schauspieler bis Ende Juli durch eine Reihe deutscher Städte führen wird, bieten sie auch Theaterworkshops an. Vielleicht könnte dabei ein Funken der kreativen Kraft dieser Gruppe Halbwüchsiger aus den Armenvierteln eines armen Landes auf die deutsche Gauklerszene überspringen.
Was steht hinter diesen Akteuren, die schon seit Jahren in wechselnder Besetzung mit ihrer Karawane immer wieder durch Deutschland ziehen? Es ist vor allem die unglaubliche Dynamik von El Alto, der über 4.000 Meter hoch gelegen Schwesterstadt von La Paz. Diese Dynamik hat nicht nur, aber auch mit dem politischen Veränderungen in Bolivien zu tun, wo seit 2006 der indigene Präsident Evo Morales regiert. Nahezu alle der 900.000 Menschen in El Alto sind Indígenas, die große Mehrheit ist jung – und sie wird mit jedem Tag selbstbewusster. Auch das hat mit „Evo“ zu tun. Doch wenn man das Teatro Trono in seinem Stammhaus am Rande des riesigen Kessels von La Paz besucht, merkt man, dass sich die Jugend, die sich dort trifft, keineswegs auf den bloßen „Indigenismo“ konzentriert.
Dort oben in der „Satellitenstadt“ residiert Compa, die Comunidad de productores en artes (Gemeinschaft von Kunstproduzenten) in einem bunten sechsstöckigen Haus. Seit mehr als zehn Jahren versorgt dieses Haus El Alto (und manchmal auch den Rest der Welt) mit Kunst, Theater, Musik, Tanz und DVDs. Gründer und Motor des Projekts ist Iván Nogales, der im Alto aufgewachsen ist. 1989 fing er an, mit Straßenkindern zu arbeiten, zog mit ihnen herum, machte Straßentheater und lebte mit ihnen. Inzwischen hat er eine Frau und zwei Kinder und wohnt mit ihnen ganz oben im Kulturhaus. Doch seine Großfamilie ist Compa. Und manchmal – so wie in diesem Sommer – reist Iván Nogales mit einer Truppe nach Deutschland und propagiert dort seinen Theateransatz, den er selbst als „De-Kolonisierung durch körperliche Befreiung“ bezeichnet. Was das heißt, darüber schreibt Nogales gerade ein Buch.
Real bedeutet es vor allem die Entfesselung der kreativen Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen im Alto. Compa ist Schule, Übungsraum, Atelier, Werkstatt, Theater, Filmproduktion, Radiosender, Webseite und manchmal auch Herberge. Überall wird gelernt, geprobt, gebastelt, produziert. Und immer wieder entstehen neue Projekte: Denn Compa will vor allem eines sein: eine „Brutstätte für die Liebe zur Kunst“. Eines der besten Produkte dieser wohl höchstgelegenen Brutstätte ihrer Art ist das Teatro Trono, das nun ein paar Wochen lang in Deutschland besichtigt werden kann.
■ Nächste Aufführung: 10. 6., New Yorck 59 im Bethanien am Mariannenplatz, Berlin-Kreuzberg