Sicker Man und Mister Simon wagen sich aus der Deckung

Diese beiden Herren neigen zum Versteckspiel. Das liegt in der Natur ihrer Profession. Sie sind zwar Musiker, aber es drängt sie nicht ganz so dringend auf die Bühne wie andere. Sowohl Sicker Man als auch Sir Simon haben ein Auskommen hinter den Kulissen gefunden. Der eine als Theatermusiker und Filmkomponist, der andere als Produzent. Vielleicht liegt es daran, dass die Alben, die sie kürzlich herausgebracht haben, wie Seelenverwandte klingen.

Hinter Sicker Man verbirgt sich Tobias Vethake, der sein Geld vor allem an renommierten Institutionen wie dem Schauspielhaus Frankfurt, dem Staatstheater Dresden oder dem Deutschen Theater Berlin verdient. Außerdem spielt er noch in vier verschiedenen Bands, ist Miteigentümer des Labels Blankrecords, und bei so viel Aktivität bleibt es wohl sein Geheimnis, wie er dann auch noch sein nun schon viertes Album aufnehmen konnte.

Vor allem, weil „Nowhere Enterprise“ nicht eben klingt, als sei die Platte mal hingerotzt worden zwischen Theaterprobe und Bandbesäufnis. Vethake weiß zwar definitiv, wie man eine eingängige Melodie komponiert, aber wichtiger ist ihm die fantasievolle Ausstattung seiner Popsongs. Die durchweg melancholischen Lieder stecken voller kleiner Details, verhuschten Geräuschen und verschämtem Knistern. Jeder einzelne Ton scheint mit Bedacht designt, nichts scheint aus den Konfektionen zu stammen, die zeitgemäße Musiksoftware so zur Verfügung stellt. Vor gut einem Jahrzehnt hätte man diese Musik wohl als Indietronics bezeichnet, ein Begriff, der für die ersten Versuche von Indierockmusikern stand, die Geheimnisse der Elektronik zu ergründen. The Notwist waren das Aushängeschild dieses Genres, das bald so selbstverständlich wurde, dass der Begriff sich in Wohlgefallen auflöste. Wer aber bis heute auf ein Album wartet, dass es mit dem Notwist-Klassiker „Shrink“ aufnehmen kann, sollte „Nowhere Enterprise“ eine Chance geben.

Vergleichbares ließe sich auch sagen über „Goodnight, Dear Mind …“. Doch das zweite Album von Sir Simon, der sich nicht mehr Sir Simon Battle nennen darf, weil ein gewisser Dirigent das nicht so lustig fand, ist nicht ganz so fein ziseliert. Dafür sucht es entschiedener nach dem großen Popmoment. Hier dominieren dann doch wieder die Gitarren, vor allem aber kommt Simon Frontzek schneller auf den Punkt als der Kollege Vethake. Er wartet nicht, bis sich aus vorsichtigem Schaben ein Song entwickelt, er beginnt einfach zu singen mit seiner immer etwas verschlafen klingenden Stimme.

Aber auch wenn Frontzek bisweilen wie ein traditioneller Singer/Songwriter klingt, steckt hier der Teufel im Detail. Vielleicht, weil Frontzek zwar seit 2008 als Keyboarder bei Tomte agiert, sonst aber in seinem eigenen Studio andere Bands produziert oder für die Musiksoftware-Firma Ableton arbeitet, beschränkt er sich als Sir Simon aufs Wesentliche, also den Song. Zu verstecken aber braucht sich keiner der beiden: Sowohl Sir Simon als auch Sicker Man bringen ihre Studiotüfteleien nun auf die Bühne. THOMAS WINKLER

■ Sicker Man: „Nowhere Enterprise“ (Blankrecords); live: 15. 6., Schokoladen. Sir Simon: „Goodnight, Dear Mind …“ (Strange Ways); live: 10. 6., HBC