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Ein Überlebender

Wer dem diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Boualem Sansal, gegenübertritt, blickt in das Gesicht eines Überlebenden. „Sirenen, Schüsse, Explosionen, Massaker in den Dörfern rundherum, Autobomben in der Hauptstadt“, beschreibt der französischsprachige Schriftsteller Algerien Mitte der 1990er Jahre.

Es herrschte Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Armee. Die Straßen waren unsicher. Der Ingenieur und hohe Beamte im algerischen Industrieministerium blieb abgeschieden von der Außenwelt, eingeschlossen in seiner Wohnung in Boumerdès, 50 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Algier, mitten im Territorium der Tangos, wie die Algerier die radikalen bewaffneten Islamisten nennen. Sansal begann wie besessen zu schreiben. Das Ergebnis dieses „Exorzismus“ war sein erster Roman „Der Schwur der Barbaren“ (1999), er erhielt dafür den französischen Preis für den Erstlingsroman.

Mit 50 Jahren reihte er sich in eine Gruppe von Preisträgern ein, die alle seine Kinder sein könnten. „Wo die Welt aufhört, fängt Algerien an“, schreibt er. Der Sohn einer alleinerziehenden Mutter wuchs im bis zur Unabhängigkeit multikulturellen und multireligiösen Stadtteil Belcourt in Algier auf – Heimat auch von Albert Camus.

Sansal nimmt kein Blatt vor den Mund bei seiner Kritik an einem Regime, zu dem er sein Leben lang „in kritischer Distanz“ steht. In einem Stil, der an den magischen Realismus Lateinamerikas erinnert, benennt er die Probleme seiner Heimat. Als überzeugter Laizist schreibt er gegen den religiösen Wahn.

„Seither ist viel Blut den Fluss hinuntergeflossen und Ozeane von Bitterkeit durch die Herzen“, heißt es in einem der zahlreichen Werke über sein Land, die er mittlerweile veröffentlicht hat. 200.000 Menschen verloren ihr Leben. Im Industrieministerium wurde Sansal gekündigt, denn er gilt als Nestbeschmutzer. Sicher ist es in Boumerdès noch immer nicht. Dennoch lebt der mutige Schriftsteller mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Töchtern weiterhin dort und ist damit die große Ausnahme der algerischen Literatur. Denn „heftige Kritik kann man nicht vom Ausland aus üben“, sagt Sansal. REINER WANDLER

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