: Was kostet ein Gewissen?
Die Deutsche Telekom bietet Streikbrechern eine Prämie von 50 Euro am Tag. Doch dieser Plan des Managements wird nicht aufgehen: Obermann & Co wissen einfach nicht, was die Leute wollen
VON BEATE WILLMS
Sein Gewissen zu verkaufen, war auch schon mal einträglicher: 30 Silberlinge, so heißt es im Matthäusevangelium, kassierte Judas Ischariot dafür, dass er die Häscher des Hohepriesters Kaiphas zu seinem Meister Jesus von Nazareth führte, der dann bekanntermaßen am Kreuz endete. 30 Silberlinge waren der Monatslohn eines Legionärs oder ein Drittel des Jahreslohns eines einfachen Arbeiters – auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 8.000 Euro. Der nordamerikanische General Benedict Arnold forderte im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 20.000 Pfund dafür, dass er das Fort West Point mitsamt seinen 3.000 Soldaten kampflos den Briten auslieferte. Das wären heute schon 1 Million US-Dollar. Und auch bei immateriellen Preisen ließen sich frühere Verführer nicht lumpen: Doktor Faust bekam von Mephisto für seine Seele immerhin ewige Jugend.
Vor diesem Hintergrund klingt es schon recht schäbig, wenn die Deutsche Telekom derzeit glaubt, das Gewissen ihrer Beschäftigten für gerade mal 50 Euro haben zu können. So viel sollen Mitarbeiter geboten bekommen haben, wenn sie ihre streikenden Kollegen im Stich lassen und ganz normal zur Arbeit antreten. Na gut, 50 Euro für jeden Tag Streikbruch, was den Preis aber nicht wesentlich verbessert.
Aber wen wundert, dass heute selbst ein Verrat kaum noch etwas wert ist? In Zeiten, in denen gewählte Volksvertreter ihr Gewissen klaglos der Fraktionsdisziplin unterwerfen, wo Sozialdemokraten Hartz IV einführen und Grüne Bundeswehreinsätze abnicken können, ohne danach schlecht zu schlafen, erscheint moralische Empörung immer mehr Menschen antiquiert. Wenn Jack London heute schriebe: „Ein Streikbrecher ist ein aufrechtgehender Zweibeiner mit einer Korkenzieherseele, einem Sumpfhirn und einer Rückgratkombination aus Kleister und Gallert“ – man würde ihm ziemlich sicher mindestens das Pathos vorwerfen.
Deshalb dürften die Telekom-Manager, die sich das 50-Euro-Angebot ausgedacht haben, auch völlig andere Dinge im Kopf gehabt haben als die Frage, wie sie das Gewissen ihrer Beschäftigten kaufen können. Sie sind einfach von ihrem eigenen Denkansatz ausgegangen: Was heute zählt, ist die kurzfristige Rendite. Deshalb sourct man einen Servicebereich aus und verbilligt die Leistungen. Ob das auf längere Sicht ein noch schlechteres Image und noch schlechtere Qualität bedeutet, ist völlig egal. So lange laufen Vorstandsverträge heute schließlich auch nicht. Ihr Kalkül also: Wenn die Mitarbeiter ähnlich denken, nehmen sie die 50 Euro Sofortgeld – auch wenn das Scheitern des Streiks sie künftig jeden Monat hunderte Euro kosten wird. Und warum sollten Telekom-Beschäftigte anders drauf sein als das Gros der Bevölkerung, das jedes Schnäppchen und jeden Rabatt für einen kleinen Sieg hält?
Erste Berichte von der Streikfront zeigen, dass das Management mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch liegt. An manchen der bestreikten Standorte sollen bis zu einem Viertel der Telekom-Mitarbeiter zum Dienst erschienen sein.
Allerdings fehlt noch ein gutes Stück, um den Streik tatsächlich in den Griff zu bekommen. Und daran sind Obermann und Co selbst schuld: Sie waren einfach nicht konsequent genug. Die Telekom-Spitze weiß eben einfach nicht, was das Volk will – nämlich nicht nur kleine Siege, sondern spannende Spiele. Und zwar leicht zu verstehende. 50 Euro täglich für den Streikbruch – viel zu kompliziert. Was, wenn die gewissenlosen Streikbrecher ins Grübeln kommen: Wie lange muss der Ausstand eigentlich dauern, bis sich der Vertrauensbruch tatsächlich rentiert? Wie macht man das: gleichzeitig Streik verlängern und Streik brechen? Ganz dumme Gedanken, Herr Obermann!
Viel einfacher wäre es gewesen, die Beschäftigten richtig anzufixen, indem man es spielerischer aufzieht. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Verfallsdatum für den Judaslohn? Wer heute zum Dienst erscheint, bekommt täglich 300 Euro Prämie. Wer erst morgen einsteigt, muss sich mit 200 begnügen? Liebe Telekom-Manager, das üben Sie aber noch mal!