: „Keine milde Strafe für Mörder“
Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries plant, nach acht Jahren die Kronzeugenregelung wieder einzuführen – und zwar nicht nur für Terroristen
BRIGITTE ZYPRIES, 53, ist seit 2002 Bundesministerin der Justiz. Von 1997 bis 1998 war die SPD-Politikerin Staatssekretärin im Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales in Niedersachsen. In der rot-grünen Bundesregierung wurde sie 1998 Staatssekretärin im Ministerium des Innern FOTO: CHRISTIAN THIEL
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
taz: Frau Zypries, Sie planen die weitreichendste Kronzeugenregelung, die es in Deutschland je gegeben hat …
Brigitte Zypries: Bisherige Regelungen waren immer auf einzelne Deliktarten begrenzt, zum Beispiel auf Drogendelikte oder auf Terrorismus. Zum ersten Mal soll es jetzt eine allgemeine Kronzeugenregelung geben.
Warum?
Eine Kronzeugenregelung macht da Sinn, wo mehrere Täter gemeinsam Straftaten begehen, aber auch, wenn ein Einzeltäter milieubedingt etwas über andere Straftaten weiß. Besonders interessant ist sie für den Staat dort, wo die Kriminellen streng abgeschottet agieren, etwa beim Terrorismus, in der organisierten Kriminalität oder bei schweren Wirtschaftsdelikten.
Auch bei Siemens?
Generell könnte die Kronzeugenregelung auch bei Ermittlungsverfahren wegen Korruption interessant werden. Zu Einzelfällen kann ich mich nicht äußern.
Und bei islamistischen Selbstmordattentätern?
Wer so fanatisiert ist, dass er den eigenen Tod in Kauf nimmt, lässt sich wohl auch durch einen Strafrabatt nicht umstimmen.
Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy will mit Hilfe von Kronzeugen aus der RAF die noch ungeklärten Anschläge erhellen …
Da bin ich skeptisch. Wer dreißig Jahre geschwiegen hat, wird jetzt wohl nicht wegen einer Kronzeugenregelung auspacken – die es für Terroristen von 1989 bis 1999 ja schon einmal gegeben hat.
Große Versprechungen machen Sie nicht.
Dazu ist auch kein Grund. Die Kronzeugenregelung ist keine Revolution im Strafrecht. Genau genommen gibt es die Möglichkeit, kooperationsbereite Straftäter zu belohnen, schon immer. Bei der Strafzumessung kann bereits heute das Verhalten nach der Tat, also auch die Aufklärungshilfe, berücksichtigt werden.
Was ist dann neu an Ihrem Gesetzentwurf? Etwa nur die Tatsache, dass dies jetzt ausdrücklich im Gesetz stehen soll?
Es ist sicher ein nützlicher Nebeneffekt, dass die Polizei einem Verdächtigen bald im Strafgesetzbuch zeigen und vorlesen kann, dass ihm für brauchbare Aussagen ein Strafrabatt oder sogar Straffreiheit winkt. Noch wichtiger ist aber, dass künftig für Kronzeugen die gesetzlichen Strafrahmen unterschritten werden können.
Was heißt das?
Für den bandenmäßigen Hehler ist im Gesetz eine Mindeststrafe von 6 Monaten Haft vorgesehen. Deshalb konnte bisher auch ein Hehler, der seine Lieferanten offenbart, nicht milder bestraft werden. Künftig soll dies möglich sein. Bei Mord sieht das Gesetz derzeit nur lebenslange Freiheitsstrafe vor. Auch hier könnte es für Kronzeugen künftig mildere Strafen geben.
Können Mörder unter Umständen auch straflos ausgehen?
Nein. Ein Mörder bekommt auch als Kronzeuge mindestens 10 Jahre Haft.
In Ihrem Referentenentwurf von 2006 waren noch 5 Jahre vorgesehen.
Das habe ich geändert. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ein Mörder eine unbillig milde Strafe erhält, weil er auf geplante oder begangene Straftaten eines anderen hinweist.
Diese Änderung dürfte die Akzeptanz der Kronzeugenregelung stark erhöhen.
Stört Sie das?
Es bleibt jedenfalls ungerecht, dass ein Mafia-Killer, der Kumpane verrät, eine Strafmilderung bekommt, während ein Alleintäter ohne Kontakt zum kriminellen Milieu voll bestraft wird.
Wer Angaben zu anderen Straftätern machen kann, ist natürlich im Vorteil. Das liegt in der Natur einer Kronzeugenregelung, weil es bei ihr weniger um die Frage geht, wer privilegiert wird, sondern welche schweren Taten durch den Kronzeugen aufgeklärt oder verhindert werden. Entscheidend ist also, welchen Nutzen letztlich die Bevölkerung von dieser Aussage hat. Im Übrigen begünstigt diese Regelung auch keinesfalls besonders schwere Straftäter oder einzelne Tätergruppen. Sie gilt vielmehr grundsätzlich für alle Täter. Ausgenommen haben wir nur Täter der einfachen Kriminalität, weil hier das bestehende Instrumentarium ausreicht.
Warum aber hören Sie in dieser Frage nicht auf den Deutschen Anwaltverein und den Deutschen Richterbund? Die Justizpraktiker lehnen die Kronzeugenregelung ab.
Bei mir hat sich noch niemand beschwert, auch wenn ich natürlich die Bedenken kenne.
Anwälte und Richter fürchten, dass Kronzeugen falsche Aussagen machen, um einen möglichst großen Strafrabatt zu bekommen.
Deshalb werden wir die Strafen für das Vortäuschen einer Straftat und falsche Verdächtigungen erhöhen.
Die Bundesregierung beschließt heute den Gesetzentwurf für eine neue Kronzeugen-Regelung. Straftäter können auf eine mildere Strafe oder sogar Straffreiheit hoffen, wenn sie mit ihren Aussagen zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten der mittleren oder schweren Kriminalität beitragen. Es geht dabei um Delikte von Geldfälschung über Vergewaltigung bis zum Mord. Das Maß des Strafrabatts richtet sich dabei nach dem Aufklärungsbeitrag einerseits und nach der eigenen Schuld des Kronzeugen andererseits. Wenn der Kronzeuge eigentlich eine Strafe von über 3 Jahren Haft verdient hätte, ist trotz großer Aufklärungshilfe keine Straffreiheit möglich, sondern nur Strafmilderung. Eine lebenslange Haftstrafe kann nur auf 10 Jahre Haft reduziert werden. Im Bereich der Kleinkriminalität, etwa bei Diebstahl und Schwarzfahren, ist die Kronzeugenregelung nicht anwendbar, aber auch überflüssig: Hier kann das Verfahren gegen Straftäter, die ihre Kumpane verpfeifen, schon heute einfach eingestellt werden. CHR
Es wird aber wohl schwer nachzuweisen sein, dass die Falschbezichtigung absichtlich erfolgte.
Das hängt sicher vom Einzelfall ab. Noch wichtiger zur Vorbeugung von Missbrauch ist aber, dass eine Aussage nur dann zur Kronzeugenregelung führen soll, wenn sie vor Beginn der Hauptverhandlung gemacht wird. Nur so haben die Behörden noch die Möglichkeit, die Angaben gründlich nachzuprüfen.
Wird es möglich sein, dass ein Angeklagter nur aufgrund der Aussage eines Kronzeugen verurteilt wird?
Das halte ich für praktisch ausgeschlossen. Die Gerichte wissen, dass sie mit solchen Aussagen besonders vorsichtig umgehen müssen. Sie werden einen Angeklagten grundsätzlich nur verurteilen, wenn auch weitere handfeste Indizien vorliegen.
Warum schreiben Sie das nicht ins Gesetz?
Das wäre eine Überregulierung. Ich meine, wir können hier Vertrauen in die Gerichte haben.
Auch die Polizei dürfte mit Ihrem Vorschlag nicht zufrieden sein. Sie will schon im Ermittlungsverfahren einen verbindlichen Strafrabatt zusagen können.
Das machen wir nicht mit. Über den Strafrabatt kann auch künftig nur ein Gericht befinden.
Die Ökonomisierung des Strafprozesses schreitet voran: Für Geständnisse gibt es Strafrabatt, für Aussagen gegen Mittäter – siehe die nun geplante Kronzeugenregelung – auch. Immer mehr Verfahren werden gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Kann die Legitimität des Strafverfahrens so erhalten bleiben?
Natürlich. Es werden ja nicht alle Instrumente gleichzeitig eingesetzt. Vor allem ist es immer besser, Phänomene, die es in der Gerichtsbarkeit gibt, gesetzlich zu regeln. Nur so kann man klare Grenzen ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen