Mit den Kameras fechten

Die avantgardistische Filmemacherin Marie Menken hat mit Andy Warhol gedreht und der Filmgeschichte Meilensteine geschenkt. Ihr Ziel war, körperliche Emotionen nüchtern im Bild einzufangen. Im Arsenal läuft jetzt eine Retroperspektive

VON RAINER BELLENBAUM

Es hat nichts mit künstlerischem Kleinmut zu tun, auf einem Hochhausdach von Manhattan gegeneinander zu fechten – zumal wenn die Kontrahenten statt der Degen Filmkameras benutzen. Marie Menken (1909–1970) und Andy Warhol drehten in den 60ern auf eben diese Weise eine Filmszene. Herausgekommen ist ein schönes Gefuchtel aus gegenseitigen Porträtaufnahmen, gerissenen Schwenks und turbulenten Frosch- und Vogelperspektiven, bei denen der Abgrund hinter der Dachkante noch den kleinsten Kitzel ausmacht. Erstaunlich also, dass der Film für Jahrzehnte gemeinsam mit Menkens Nachlass in einer Abstellkammer verschwand.

Glücklicherweise rettete die Wiener Dokumentaristin Martina Kudláček das Material aus einer verrosteten Filmdose. Umkopiert hat sie es in ihr aktuelles Filmporträt „Notes on Marie Menken“ eingeschnitten. Zwischen Kommentaren von Künstlerkollegen wie Kenneth Anger oder Stan Brakhage und neben anderen sorgfältig restaurierten Menken-Raritäten markiert es einen Höhepunkt in der Filmgeschichte. Das Gefecht pointiert mit seinen Ausfallschritten, Coupés und Paraden die Affinität der sonst weit auseinandergehaltenen Methoden von Pop Art und Abstraktem Expressionismus.

Dabei wäre es verkürzt, Menkens Schaffen auf letztere festzulegen. Zwar erinnert die Art, wie sie ihre 16-mm-Bolex durch die Straßen von New York („Go, Go, Go“, 1963) oder durch die spanische Alhambra („Arabesque for Kenneth Anger“, 1961) führt, auffallend an die Gesten des Action Painting. Gleichwohl gerät das Figürliche dabei nie aus dem Blickfeld. So geben sich in „Lights“ (1966) die ornamentalen Lichtmuster plötzlich ganz unprätentiös als Parkbeleuchtung zu erkennen. Und in „Glimpse of the garden“ (1957) stellt die Künstlerin es dem Betrachter anheim, jene flüchtigen Blicke in den Garten ihrer tanzenden Kamera oder einem im Off zwitschernden Vogel zuzuschreiben.

Es war das zentrale Anliegenvon Marie Menken, körperliche Impulse präzise verfremdend und antiillusionistisch in die Bildproduktion einzuschreiben. Eben darum streute sie in den 50er-Jahren Glitter und Perlen auf ihre Malerei, um den Blick des Betrachters in Bewegung zu versetzen. Und ebenfalls darum schwenkte sie ihre Kamera und mischte so gleichermaßen den schweifenden wie zielgerichteten Blick auf.

Wer will, kann sich Menkens Biografie als Drama vorstellen. Angeblich waren die Streits mit ihrem Mann, dem Filmemacher und Schriftsteller Willard Maas, Vorbild für Edward Albees Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“. Tatsächlich erwartete Menken ein Kind von Maas, als dieser sein homosexuelles Coming-out hatte. Das Baby wurde tot geborenen, das Paar blieb trotzdem unzertrennlich. Dass die Künstlerin auch solche Erfahrungen vor allem physisch stilisierend bewältigte, zeigt ihr maskenhaftes Schauspiel, mit dem sie sich erneut Factory-Strategien annäherte. Ihren legendären Auftritt als sture, zornig peitschende Matrone in Warhols „The Chelsea Girls“ (1966) zusammenzudenken mit ihren eigenen grazilen Filmgedichten, dafür bietet die Retrospektive zusammen mit Kudláčeks „Notes on Marie Menken“ aufschlussreiches Material.

Heute um 19 und um 21 Uhr; morgen um 19.30 Uhr, Arsenal