: Grünen Strom selber machen und mitnehmen
ENERGIEDEMOKRATIE Woher kommt der Strom, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint? Die Speicher-Pioniere von Younicos haben eine Lösung
YOUNICOS-GRÜNDER CLEMENS TRIEBEL
Sie verlassen den CO2-produzierenden Sektor, steht auf einem Schild. Über einen Wassersteg geht es hinüber auf eine Insel: ein Gebäude voller Solarmodule in Berlin-Adlershof. Vierzig Mitarbeiter sitzen auf bunten Designermöbeln oder tippen in sonnenbetriebene Computer. Willkommen in der „Energieautonomen Republik Younicos“.
Der Titel erinnert vielleicht nicht ganz zufällig an die „Freie Republik Wendland“. Wiewohl die Idee nicht von ihm stammt, kommt Clemens Triebel, einer der beiden Younicos-Gründer und -Vorständler, aus der linken Szene und war früher auch in Gorleben. Der 1958 in Mannheim geborene umtriebige Ingenieur mit Kurzhaarschnitt und Lausbubenlachen gehörte ab 1985 dem Kollektiv „Wuseltronik“ an, eine Abkürzung für „Wind- und Solarelektronik“. Im Kreuzberger Mehringhof bastelten die Mitglieder die ersten Wind- und Sonnenelektronikmodelle zusammen – und wurden dafür damals von der Geschäftswelt als „Strickstrumpffraktion“ belächelt.
1996 gründeten die Kollektivisten die Solarmodulfirma Solon, 1998 brachten sie sie an die Börse, in Adlershof bauten sie ein Gebäude, dessen Architektur sich vor der Sonne verneigt. Als Solon in der Finanzkrise viel Geld verlor, hatte Triebel sich aus dem Unternehmen verabschiedet und war mit Younicos nur noch Untermieter. Auf seiner Sonneninsel herrschen flache Hierarchien und ein lockerer Umgangston.
„Man kann aus unserer linken Zeit viel herüberretten“, sagt Triebel. Zum Beispiel seine Vision einer demokratischen Energieversorgung zum Selbermachen. Weil Sonne und Wind schon mal ausfallen können, sind Stromspeicher die Voraussetzung dafür. Younicos hat drei Modelle entwickelt. „Ein Riesenansporn und Riesenspaß für mich“, sagt Triebel. Prototyp „Yill“, ein Lithium-Titanat-Akku fürs Büro, ist rollbar, rund, schön. Berufsnomadinnen und Teilzeitschreibtischler können ihren Arbeitsplatz so zur energieautarken Insel machen, der Strom reicht für drei Tage. Mit so etwas den Strom vom eigenen Solardach zu ernten – das macht die Energiewende sinnlich und fördert Dezentralität.
Solarpionier Triebel zeigt auf „Yana“, die große Schwester von „Yill“: eine Solartankstelle für Elektroroller und -autos. Sie funktioniert mit langlebigen Vanadium-Akkus, die 100 Kilowattstunden Strom speichern. Auch „Yana“ ist eine energieautarke Insel. Die Zukunftsstrategen der Autokonzerne tummeln sich des Öfteren hier, verrät Triebel. Die Herren ahnen wohl, dass sich Solarautos in Zukunft besser verkaufen werden als Atomstromkutschen.
Das ehrgeizigste Projekt aber ist eine reale Insel in den Azoren, die Younicos ab 2012 von Lieferungen aus Dieseltankschiffen unabhängig machen will. Graciosa, 60 Quadratkilometer, knapp 5.000 Bewohner: das klingt zunächst unspektakulär. Doch ein Grünstromnetz, das über Riesenakkus störungsfrei weiterläuft, wenn es mal weder Sonne noch Wind gibt, hat bislang noch niemand aufgebaut. Das Modell sei überallhin übertragbar, schwärmt Triebel, nicht nur auf 100.000 Inseln dieser Welt, sondern irgendwann auch auf die große Insel Europa.
Und deshalb simuliert Younicos in einer unscheinbaren Halle die zukünftige Energieversorgung der Insel im Modell 1:3. Herzstück sind fünf Meter hohe brummende Schränke, Natrium-Schwefel-Akkus, die Wind- und Solarstrom speichern. In einem Kasten stecken drei Megawattstunden, zwei davon können ein Dorf mindestens sechs Stunden lang versorgen – auch wenn Solar- und Windstrom ausfallen.
„Das ist das demokratische Netz in Aktion, jeder Akteur kann alleine führen“, sagt Triebel. „Ich kann König Atom die Birne abhauen, das Volk lebt weiter.“
UTE SCHEUB