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Archiv-Artikel

Senden, empfangen, belauschen

Schriften zu Zeitschriften: „Ästhetik & Kommunikation“ kommuniziert mobil, „NZZ Folio“ hört sowohl Dampfradio wie Podcast, während „Mare“ sogar einen Lauschangriff im Südatlantik unternimmt

Kürzlich erinnerte der Schriftsteller Ingo Schulze an die wichtigste technologische Revolution der vergangenen Jahre, den Siegeszug des Mobiltelefons. „Die Unerreichbarkeit wird plötzlich zum Luxus“ – so lautete seine sicher von vielen seufzend geteilte Quintessenz. „Handy“ heißt denn auch Schulzes neuer, hoch gelobter Erzählungsband, der für denPreis der Leipziger Buchmesse, der kommende Woche verliehen wird, nominiert ist. Der Titel, so der Autor, vereine Geschichten, die in der Vor-Handy-Zeit so nicht denkbar waren.

Erinnern wir uns: Weit verbreitet waren in der späten, ziemlich telefonlosen DDR außen an vielen Wohnungstüren jene Notizblöcke mit Bleistift, auf denen ein Besucher Nachrichten hinterließ, wenn er vergeblich geklingelt hatte. Nur elf Jahre später mussten einige Amerikaner am 11. September 2001 die Handyanrufe ihrer todgeweihten Angehörigen aus den gekaperten Flugzeugen hören, bevor diese zerschellten. Dass wir angesichts dieser Meldung über tragische Kommunikation noch erschauerten, offenbart, wie frisch die Erfahrung permanenter Erreichbarkeit doch ist.

„Mobil kommunizieren“ heißt das erhellende Themenheft von Ästhetik & Kommunikation über diese Umwälzung, der hier Kultur- und Medienwissenschaftler auf der Spur sind. Damit ist keineswegs nur das Handy gemeint, sondern generell Interagieren in der Bewegung als zentrales Merkmal unserer Zeit: mit Notebook, MP3-Player, Gameboy, „unerreichte Erlebnisse mit jedem Endgerät“, wie das Bill Gates nannte. Michael Bull aktualisiert nach Befragung von 1.000 Nutzern das berühmte Diktum Roland Barthes' und interpretiert wie jener einst den Citroën DS nunmehr den iPod als Äquivalent zu den gotischen Kathedralen, ein „magisches Objekt“ als „erste kulturelle Ikone des Konsumenten im 21. Jahrhundert“. Auf der Piazza Matteotti im norditalienischen Udine beobachten Joachim Höflich und Julian Gebhardt systematisch die urbane Bühne, auf der sich Mobiltelefonierer „kreisend oder schlangenförmig“ in einer Art „body ballet“ vor dem Brunnen aus dem Jahr 1543 bewegen, mal autistisch, mal extrovertiert. Bei Regen zeigt sich, „zumal beim weiblichen Geschlecht, eine besondere Virtuosität“: die Tasche in der linken, den Schirm in der rechten Hand, das Handy mit der Schulter ans Ohr gedrückt.

NZZ Folio, das Monatsmagazin der Neuen Zürcher Zeitung, widmet sein März-Heft dem alten und neuen Radio. In einer schweizerischen Mischung aus possierlicher Nostalgie und selbstverständlicher Modernität wird der listenreiche Überlebenskampf eines oft totgesagten Mediums nachgezeichnet, vom Dampfradio bis zu Podcasts. Karl Lüönd erinnert an die heroische Zeit der eidgenössischen Piratensender in den Siebzigerjahren, als politische, kommerzielle oder einfach nur bastelnde Aktivisten von den Peilsendern und Helikoptern der staatlichen Telefonbehörde verfolgt wurden. Doch die Funkguerilla eroberte immer wieder den Äther, bis die Monopole allmählich verschwanden.

Mitten im Südatlantik liegt ein unwirtliches Eiland, das jedoch in seiner geheimnisvollen kommunikativen Bedeutung einem Roman Thomas Pynchons entstammen könnte (kommt diese Insel in dessen Werk womöglich wirklich vor?). Wie auch immer: Hier, auf der zu Großbritannien gehörenden mysteriösen Insel Ascension, vereinen sich auf wenigen Quadratkilometern die globalen Funkwellen. In der aktuellen Ausgabe von Mare berichtet Olaf Kanter, begleitet von den ausdrucksstarken Fotografien Simon Norfolks, über die BBC-„World Service“-Stationen im Norden der Insel, über die Antennen der Telefonkonzerne – sowie über die von weiträumigen Sperrzonen geschützten großen Abhörstationen der britischen und amerikanischen Geheimdienste, die weite Teile des Datenverkehrs auf der südlichen Halbkugel unter ihrer Kontrolle haben. Senden, empfangen, belauschen, überwachen: Angesichts dieser gefährlichen Mischung sollte man das Handy doch öfter mal ausschalten, um wieder unerreichbar zu werden.

ALEXANDER CAMMANN

Ästhetik & Kommunikation, Heft 135, Winter 2006: „Mobil kommunizieren“. 11 €, www.aesthetikundkommunikation.de NZZ Folio, März 2007: „Radio. Auf Sendung wie noch nie“. 8 €, www.nzzfolio.ch Mare, Nr. 60, Februar/März 2007, 7,50 €, www.mare.de