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Archiv-Artikel

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Heizung für lau verheißt ein Schatz, der tief unter der Erdoberfläche schlummert. Im westfälischen Arnsberg wird bald die Restwärme des Planeten aus der Zeit seiner Entstehung genutzt, um warmes Wasser zu generieren. Kann die Nutzung von „Tiefen-Geothermie“ den Klimawandel bremsen? Die taz setzt ihre Debattentournee durch NRW fort

taz debattiert in nrw

Mit einer Debattenreihe zieht die taz in diesen Wochen durch NRW. Ende April stellten taz-Parlamentskorrespondent Jens König und taz-Autorin Nadja Klinger ihr Buch „Einfach abgehängt“ zum Thema neue Armut zur Diskussion. Am nächsten Mittwoch diskutiert taz-Umweltredakteur Nick Reimer in Bielefeld zum Thema „Das Klima wird heiß“ mit der Grünen-Politikerin Bärbel Höhn, am Donnerstag in Mülheim mit Stefan Pfeifer (DGB), am Freitag in Essen mit NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) und am Samstag in Aachen mit der SPD-Landtagsabgeordneten Svenja Schulze. Im Juni geht es um die Weltsicherheitslage. Immer um 20 Uhr (Bielefeld: 19.30!) . Eintritt: frei. Infos im Internet: www.taz.de/nrw

AUS ARNSBERG MORITZ SCHRÖDER

Drei Kilometer tief im Erdreich steckt Ulrich Müllers Vision. Genauer: unter einem 34 Meter hohen Bohrturm. Im westfälischen Arnsberg graben sich derzeit massive Bohrmeißel in die Erde. Sie suchen nicht nach Erdöl, sondern sollen den Ingenieur und Projektinitiator zu einem eher unspektakulären Schatz führen: der Erdwärme. Alle hundert Meter in Richtung Erdmittelpunkt steigt die Temperatur um rund drei Grad an. Dies ist die Restwärme des Planeten aus seiner Entstehungszeit. Diese „Tiefen-Geothermie“ will Ulrich Müller nutzen, um städtische Gebäude zu heizen. Das ist Pionierarbeit. Denn aus solchen Erdschichten hat in Nordrhein-Westfalen noch niemand Erdwärme gewonnen.

Die Betreiber des Schwimmbads im Stadtteil Hüsten, das 2004 eröffnet wurde, schauen jetzt schon hoffnungsvoll zu dem gelben Bohrturm auf. Schließlich soll der dafür sorgen, dass der Gaskessel, der das Wasser in Becken, Duschen und Sauna beheizt, nahezu überflüssig wird. 70 Prozent der Wärme für das Bad, womöglich auch für die nahe Realschule und eine Sporthalle, sollen bald fast umsonst aus der Erde kommen. Die sonst aufwändig produzierten rund 2,1 Millionen Kilowattstunden im Jahr könnten so ersetzt werden, genug um 140 Wohnungen zu heizen. Spareffekt: Rund 100.000 Euro pro Jahr.

Wenn Bernd Löhr von der Geothermie spricht, setzt er ein zufriedenes Lächeln auf. Er leitet das Bohrprojekt für die Stadtwerke. „Wenn die Bohrung fertig ist, müssen wir nur noch wenige tausend Euro für eine Umwälzpumpe finanzieren, die die Erdwärme an die Oberfläche transportiert. Und das wartungsfrei“, sagt der Mitarbeiter der Arnsberger Stadtwerke, die 2,5 Millionen Euro in das Projekt stecken. Das Land NRW trägt mit 850.000 Euro ein Viertel der Kosten. Die hohe Investition lohnt sich, glaubt Löhr, der häufig in seinem knallroten Benz auf dem 3.000 Quadratmeter großen Bohrplatz vorfährt, um die Arbeiter nach dem aktuellen Stand zu befragen. Wenn alles gut läuft, werden die Stadtwerke bis 2012 die Kosten wegen der weltweit steigenden Gaspreise wieder in der Kasse haben. „Dann müssen wir auch weniger zittern, wenn Irans Präsident Ahmadinedschad wieder mal mit dem Säbel rasselt und die Gaspreise nach oben gehen“, sagt Bernd Löhr und grinst.

„Genervt, wie langsam das geht“

Um an den Landeszuschuss heranzukommen, musste Projektinitiator Müller damals allerdings hartnäckig Klinken putzen. Als dem Ingenieur 1999 seine Idee kam, „kannte das Wort Geothermie kaum jemand“, sagt Müller. Bei der Europäischen Union in Brüssel war kein Geld zu holen. Auch die NRW-Landesregierung musste erst für die Idee gewonnen werden. „Es war schwer, die Politik zu überzeugen. Keiner sagt einfach so: ‚Lass uns mal ein drei Kilometer tiefes Loch bohren?‘“, so Müller. Vielleicht, weil selbst Experten nicht so recht wissen, worauf der Bohrer im Untergrund stößen könnte. Eine umfassende geologische Analyse bis in diese Tiefen gibt es bislang nur für das Ruhrgebiet. Ab 1.000 Metern stoßen Geologen in Westfalen auf Neuland. „Das Sauerland ist kaum ergründet“, sagt Müller. Trotzdem: Seit Juni 2005 dreht sich der Bohrer.

Der stämmige Bohrmeister Albert Lenz, der seine Leute derzeit 24 Stunden am Tag den Meißel in die Erde treiben lässt, muss derweil viel Geduld aufbringen. „Wir sind schon sehr früh auf hartnäckigen Stein gestoßen“, sagt er gelassen und schiebt seinen Helm mit dem Daumen ein Stück nach oben. In Metern ausgedrückt, bedeutet das: Wenn es gut läuft, schafft der Bohrer 30 am Tag, wenn es schlecht läuft: fünf. Derzeit ist das Loch über 1.600 Meter tief. Der Dieselmotor, der den Meißel antreibt, läuft wegen des festen Steins meistens nur im dritten von fünf möglichen Gängen, mit 90 Umdrehungen pro Minute. Zwölf Meißel haben sich durch die Arbeit schon abgenutzt. Bis Mitte des Jahres sollen trotz der Probleme 3.000 Meter Tiefe erreicht sein. „Ich war manchmal genervt, wie langsam das vorangeht“, sagt Roland Gaschnitz, Sprecher des Projekts „SuperC“. Unter diesem Titel wurde an der RWTH Aachen von Mai bis November 2005 ein 2,5 Kilometer tiefes Loch für eine Geothermie-Anlage gebohrt. Über einen Monat lief der Bohrer dort länger als geplant. Heute ist die Anlage fertig. Nur das Hochschulgebäude, das durch die Anlage komplett beheizt werden soll, wird noch gebaut.

Auch das Arnsberger Projekt ist in Verzug. Als das Bohrgestänge Anfang 2006 gerade mal knapp 600 Meter tief in der Erde steckte, stieß der Spezialstahl auf eine Grundwasserader. Die Bohrarbeiten mussten abgebrochen werden. „Die Wahrscheinlichkeit, dort auf Wasser zu stoßen, war kleiner als fünf Prozent“, sagt Projektleiter Löhr. Obwohl damals schon eine Million Euro im Projekt steckten, ganz abgesehen von dem Zeitverlust, hat er damals die Zuversicht nicht verloren, sein Rekordloch zu bekommen. Eine wirtschaftliche Entschädigung lieferte schon das salzhaltige Wasser. Im März 2006 haben die Stadtwerke beschlossen, die zufällig gefundene Thermalsole wirtschaftlich zu nutzen, etwa als Heil-Badewasser im Schwimmbad oder in einem Gradierwerk, wo daraus Salz gewonnen werden könnte. Die Geothermie rückte damals für einige Wochen in den Hintergrund. Mitte letzten Jahres wurde erneut gebohrt, diesmal am neuen Ort.

Selbst Landeswirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU), die nicht unbedingt als Freundin der umweltschonenden Energiegewinnung gilt, versucht die Geothermie heute öffentlichkeitswirksam zu bewerben. Der Anlage in Arnsberg hat sie bereits einen Besuch abgestattet. Mitte März eröffnete sie außerdem die Bohrung für die größte Wärmepumpensiedlung Deutschlands in Köln-Niehl, finanziert von der GAG Immobilien AG. Dort sollen ab Ende 2009 Pumpanlagen Wärme für 383 Wohnungen aus oberflächennahen Erdschichten befördern. Um 50 Prozent sinkende Energiekosten und einen 30 Prozent geringeren Kohlendioxidausstoß verspricht die GAG den anvisierten 1.000 BewohnerInnen. 20.000 neue Wärmepumpen jährlich wünscht sich Ministerin Thoben für NRW. 2006 wurden 9.000 Anlagen installiert. Jeder zehnte Neubau im Land wird bereits mit Geothermie versorgt.

In Arnsberg ist die Quote bei Privathäusern ähnlich hoch. Mit dem großen Bohrer haben sich die BürgerInnen dort inzwischen arrangiert. Durch zehn Meter hohe Schallschutzwände um den Bohrplatz können sie weiterhin ruhig schlafen. Alle vier Wochen werden sie auf den großen Kiesplatz vor dem gelben Turm eingeladen und lassen sich das Prinzip Geothermie erklären. Auch mehrere BürgerInnen, die sich dennoch über die Lautstärke des 600-PS-Motors für den Bohrer beschwert hatten, konnte Ulrich Müller besänftigen. „Wir können nicht leise bohren“, sagt Müller behutsam. Er weiß, dass er die Menschen von seinem Projekt überzeugen muss. Denn wird die zulässige Lautstärke doch mal überschritten, kann jede Beschwerde bei der Bezirksregierung die Arbeit verzögern und das Projekt gefährden.

Ein Strohhalm im Wasserglas

Die nötigen Bilder und Zahlen, um die Menschen für seine Idee zu gewinnen, hat sich Ulrich Müller längst zurechtgelegt. Das Bohrloch beschreibt er in geologischen Maßstäben als einen „Nadelstich“ in die Erdkruste. Wenn später die Erdwärmesonde, ein Kunststoffrohr, in das zuvor zementierte Loch gesteckt wird, „funktioniert das System wie bei einem Strohhalm in einem Wasserglas“. In einem geschlossenen Kreislauf wird kaltes, schweres Wasser an der Außenseite des Rohrs eingeleitet. Beim Herabsinken auf 3.000 Meter Tiefe erhitzt es sich auf rund 100 Grad und steigt innerhalb der Sonde wieder hinauf. Oben angekommen, ist das Wasser noch 60 Grad heiß und fließt durch die schon heute verlegte Leitung zum 150 Meter entfernten Schwimmbad. Die unterirdische Wärmequelle hält nach menschlichen Maßstäben ewig, nach geologischen zumindest einige hunderttausend Jahre.

„Natürlich hat auch die Klimadiskussion das Projekt vorangetrieben“, sagt Müller. Schließlich werden durch den Verzicht auf fossile Energieträger in Arnsberg jährlich 800 Tonnen Kohlendioxid weniger entstehen. Bernd Löhr malt sich schon aus, mit seiner Anlage mal in den Handel mit Emissionszertifikaten einzusteigen. Der soll nach Experteneinschätzung ab 2008 viel Geld bringen. Wer im Arnsberger Maßstab klimaschädliches Kohlendioxid einspart, kann die überschüssigen Verschmutzungsrechte am Markt etwa an Energiekonzerne verkaufen.

Nur das Rekordloch wird bald wohl keines mehr sein. In Bochum will das Universitäts-Unternehmen Rubitec zwei 4.000 Meter tiefe Löcher bohren lassen, um mit einem anderen Geothermie-Verfahren Erdwärme zu gewinnen. Damit sollen ein Teil der Universität, der Fachhochschule und zusätzlich Wohnungen beheizt werden. Wie damals in Arnsberg übt sich Rubitec-Geschäftsführer Karl Grosse derzeit noch in Geduld: „Wir warten schon eineinhalb Jahre auf die Bewilligung von Fördergeldern aus Düsseldorf.“ Immerhin acht bis zehn Millionen Euro soll die Landesregierung allein für das erste Bohrloch springen lassen. Grosse rechnet aber bald mit der Zusage. „Jetzt haben alle die Vorteile der Geothermie begriffen“, ist Ulrich Müller überzeugt. In Arnsberg will er den Beweis dafür antreten, dass sich die Geothermie selbst aus tiefen Erdschichten auszahlt. Ein Nadelstich genügt.