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Archiv-Artikel

Good cake & bad cake

Kaum gibt es in Berlin guten Kuchen, wird er politisch verdammt: „Ungesundes“ Essverhalten soll „finanziell unattraktiver gestaltet“ werden. Der letzte Ausweg: Kalorienbomben selber basteln

VON CAROLA RÖNNEBURG

Vor fast 20 Jahren sahen sich Einwanderer in Berlin so manchem Kulturschock ausgesetzt. Da war nicht nur der Umgangston der Einheimischen – grob und so entschieden unhöflich, dass es dafür anderswo etwas hinter die Löffel und vor Gericht mildernde Umstände gegeben hätte –, zur inneren Hässlichkeit gesellte sich auch noch eine äußere: Die winterliche, von Kohleöfen gespeiste Stadtluft zeichnete nie gekannte allergische Muster auf die Wangen. Der Zugereiste sah aus wie ein Streuselkuchen, aber was noch viel schwerer wog: Ordentlicher Streuselkuchen war in der ganzen Stadt etwa so rar wie ein freundliches Gesicht in einer BVG-Uniform.

Wer in der Berliner Kuchenprovinz gut schmeckendes Backwerk essen wollte, musste weite Wege auf sich nehmen und von Kreuzberg nach Grunewald zum „Caffeehaus am Roseneck“ fahren. Das Angebot der meisten Bäckereien entsprach dem heutigen Standard von Fastfood-Ketten wie „Dunkin’ Donuts“, „Kamps“ oder der „Wiener Feinbäckerei“: staubtrockene Schmalzteigobjekte mit zentimeterdicker Puderzuckerglasur und misshandelte Hefeteilchen; schwabbelige, einschichtige Torten; in Zuckersirup ertränkte, so genannte „Plunder“, die ihren Namen verdienten. Knuspriger Blätterteig war unbekannt, von Butter hatte seit den Nachkriegsjahren niemand je wieder etwas gehört, wohl aber von Butteraroma. Auch in den kleinen Cafés und alternativen Kneipen ließ sich der Kuchenhunger nicht stillen. Entweder gab es noch nicht ganz aufgetauten Apfel- oder Pflaumenkuchen aus der Tiefkühltruhe mit Dosensprühsahne – oder gesunde, zuckerfreie Möhrentorte mit Roggenmehl. Und im Ostteil der Stadt mögen die Brötchen einst besser gewesen sein – der Kuchen, liebe Schrippenverehrer, verdiente keine Erwähnung. Es waren lange, entbehrungsreiche Jahre, und warum Berliner Bäckereien bis heute einen Gelatineklotz mit fünf darin eingeschlossenen Erdbeerhälften auf einer Biskuitbodenimitation als „Obstkuchen“ verkaufen dürfen und können, bleibt ein Rätsel.

Trotzdem scheint sich seit kurzem ein Wandel im Berliner Kuchenkabinett anzubahnen. Ausgerechnet bei uns kann man neuerdings erstaunlich schmackhaftes Gebäck und echte, weil mehrschichtige Torten essen. Ein überraschender Ehrgeiz hat die Cafébetreiber gepackt: Tiefkühlkost ist passé, es zählt das eigene Rezept mit guten Zutaten. Auf einmal stehen selbst gemachte Käse- und Rhabarberkuchen zur Auswahl, die Torten sind aus Mürbeteigboden und Biskuitzwischenschichten gebaut, Baiserverzierungen wieder en vogue. Mehrere Stichproben in den letzten Wochen, quer durch die Stadt, erbrachten dieses vorläufige Ergebnis: Es ist kein Wagnis mehr, zum Kaffee ein Stück Kuchen zu bestellen, allerdings sind die Preise – bis zu 3,80 Euro für ein exzellentes Stück Zitronentorte etwa – bis an die Schmerzgrenze gestiegen. Wünschenswert wäre außerdem, wenn statt einer Unzahl von Zutaten – „Orangen-Sahne-Schokoladen-Vanille-Eischnee-Torte mit karamellisierten Ingwersplittern“ – entweder „Orangensahnetorte“ oder das komplette Rezept auf der Karte stünde.

Eine kleinliche Kritik, zugegeben. Denn kaum stehen die Zeichen gut für eine kulinarische Erweckung der Stadt, tritt die Bundesregierung planlos auf den Plan und erwägt, Süßes, Leckeres, Anregendes mit Strafsteuern zu überziehen. Die „Fettleibigkeit der Deutschen“ soll durch höhere Steuern auf Süßigkeiten und andere, mutmaßlich „ungesunde“ Lebensmittel bekämpft werden.

„Dass auf Naschzeug nur sieben Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden, ist nicht nachvollziehbar“, sagt die die ernährungspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Ulla Heinen. Tortenfreunde werden sofort einwenden, dass Ulla Heinen von klebriger Fanta, Marshmallows und Kitkat-Riegeln spricht. Gemeint sind aber zuckerhaltige Lebensmittel, wozu dann auch Schokolade gehören muss, eigentlich auch Tomatenketchup – und Kuchen. Immerhin „erfreuen sich Fertigkuchen einer steigenden Beliebtheit“, stellte die Allgemeine BäckerZeitung schon vor zwei Jahren fest. Wie furchtbar Fertigkuchen auch immer schmecken mögen, sie gehörten in das eben propagierte „Fit statt fett“-Programm der Koalition. Und damit – nicht eben nachvollziehbar, aber konsequent – auch die Neuentwicklungen im Berliner Kuchensektor. Die SPD-Gesundheitsexpertin Elvira Drobinski-Weiß will ein „ungesundes“ Essverhalten gleichfalls „finanziell unattraktiver gestalteten“ und fordert „für Knabberzeug und Süßigkeiten die volle Mehrwertsteuer“.

Torten- und Kuchen-Afficionados werden daher in den Untergrund gehen und selbst backen müssen. Das ist schwer. Schließlich gibt es gute Backbücher – und im Internet Kalorienbombenbastelanleitungen.