Räumung im Morgengrauen

HONGKONG Der Demokratiebewegung geht allmählich die Luft aus

Immer mehr Hongkonger reagieren genervt auf die Blockaden und Verkehrsbehinderungen

AUS PEKING FELIX LEE

Der Polizeieinsatz kommt überraschend. Noch wenige Stunden zuvor hat sich Hongkongs Regierungschef Leung Chun-ying versöhnlich gezeigt und den Demokratieaktivisten für kommende Woche neue Gespräche angeboten. Das umstrittene Oberhaupt der südchinesischen Sonderverwaltungszone betonte zwar, dass die Hauptforderung der Demonstranten nach freier Wahl der Kandidaten für die Wahl ab 2017 nicht erfüllt werden könne; die chinesische Führung in Peking bleibe in diesem Punkt hart, aber bei der Nominierung der von Peking abgesegneten Kandidaten gebe es Spielraum.

Einer der Anführer der Proteste, Alex Chow, hatte das Angebot durchaus begrüßt. Doch nun stehen diese Gespräche auf der Kippe. In einer Blitzaktion rückte am frühen Freitagmorgen ein Großaufgebot der Polizei auf das Protestlager in Mongkok vor und löste die seit fast drei Wochen bestehende Blockade auf. Ausgerüstet mit Bolzenschneidern, Sägen und Schutzschilden, rissen die Polizisten die Barrikaden aus Bambus ein, räumten Zelte und Regenschirme von der Straße.

Auf nennenswerten Widerstand stießen die Einsatzkräfte nicht. Die Demonstranten, die in den Zelten schliefen, etwa ein Dutzend, fühlten sich völlig überrumpelt. „Es ging alles sehr schnell“, wird ein 19-jähriger Demonstrant im Hongkonger Fernsehen später zitiert. „Wir konnten nicht einmal unsere Sachen packen.“ In Mongkok befand sich eines der insgesamt drei Hauptblockadecamps in der 7-Millionen-Einwohner-Metropole.

Mit der Räumung in dem besonders dicht bevölkerten Geschäftsviertel gerät Hongkongs Protestbewegung immer mehr in die Defensive. Im Vergleich zu Beginn der Blockaden vor drei Wochen, als Zehntausende für mehr Demokratie auf der Straße saßen, harrten in der Nacht zu Freitag in Mongkok zwar ohnehin nur noch wenige Protestierende aus. Selbst unter den Aktivisten war dieses Protestlager umstritten. Denn die Gassen in dem belebten Viertel sind eng. Immer wieder kam es in den vergangenen Tagen zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und wütenden Geschäftsleuten.

Doch in Mongkok hatten die verbliebenen Aktivisten mit rascher Unterstützung gerechnet. Die meisten Studenten wohnen auf den Uni-Geländen im Umland. Für sie ist das Geschäftsviertel auf der Halbinsel Kowloon sehr viel schneller zu erreichen als die beiden anderen Protestlager auf der gegenüber liegenden Insel Hongkong. Aus Furcht vor einer plötzlichen Mobilisierung tat sich daher auch die Polizei schwer mit einer Räumung des Protestlagers.

Am Nachmittag kamen zwar rund 200 Demonstranten spontan zusammen und verhinderten, dass die Polizei die Straßen für den Verkehr freigab, doch von Dauer waren diese Blockaden nicht mehr. Die Einsatzkräfte hinderten die Aktivisten daran, erneut Material für Barrikaden auf die Straße zu bringen. Nun befürchten die Aktivisten, für die Einsatzkräfte könnte es ein Leichtes sein, auch die beiden noch verbliebenen Protestlager in der Nähe des Regierungssitzes in Admiralty zu räumen. „Uns läuft die Zeit davon“, wird ein Student zitiert.

Entsprechend wütend sind die Protestanführer. Die Initiative „Occupy Central“, die zu den Blockaden aufgerufen hatte, verurteilte die Räumung. Es gebe große Zweifel an der Aufrichtigkeit der Regierung, heißt es in einer Erklärung. Ein Vertreter des Hongkonger Studentenverbands bezeichnete das Gesprächsangebot des Regierungschefs als „Makulatur“. Sein Verband erwägt nun die Absage des Dialogs. „Wir sind sehr, sehr enttäuscht.“

Mögen die Demokratieaktivisten von der plötzlichen Räumung am frühen Morgen überrascht gewesen sein – dass aber auch am Nachmittag die Zahl der Unterstützer im Vergleich zu den Vorwochen gering blieb, erhärtet den Eindruck, dass der Bewegung die Luft ausgeht. Viele Hongkonger, die den Protesten anfangs positiv gegenüberstanden, reagieren mittlerweile genervt auf die Blockaden und Verkehrsbehinderungen. Andere haben die Hoffnung auf einen Erfolg der Bewegung aufgegeben. Mehrere Hongkonger Medien berichten zudem über den wirtschaftlichen Schaden, den die Blockaden bereits verursacht haben. Allein in der ersten Woche sei dem Einzelhandel ein Schaden von umgerechnet rund 230 Millionen Euro entstanden.

„Die Proteste sind in eine Sackgasse geraten“, sagt ein Hongkonger aus der Finanzbranche. Die Polizei gehe gegen Protestlager vor. Der harte Kern der Demonstranten reagiere wütend und werde sich nicht länger mit Zugeständnissen zufriedengeben. „Aber weil ihre Zahl auf den Straßen schwindet, haben sie nicht mehr viele Druckmittel.“