: Kurz ist das Leben
Trotz digital erblühender Rosen: Das Konzert der portugiesisch-kanadischen Sängerin Nelly Furtado in der Arena hat sich doch gelohnt. Denn oft gelingt ihr die richtige Mischung von fröhlichem Pop und Melancholie. Wie auch auf ihrem Album „Loose“
VON HANNAH PILARCZYK
Wie konnte man „Forca“ vergessen? Vor all dem T-Shirt-Ausgeziehe und An-Justin-Timberlake-Gereibe der aktuellen Platte hatte man das Lied zur Fußball-EM 2004 irgendwie nicht mehr auf dem Schirm. Aber dann ist es wieder da und es ist schlimmer als erinnert: Zwei Tänzerinnen stürmen mit Bändern aus der rhythmischen Sportgymnastik auf die Bühne und Nelly Furtado hat sich ein deutsches WM-Trikot übergestreift. Es werden Fußbälle ins Publikum geworfen und die Tänzer treten in die Luft. Es ist wie Fanmeile nur ohne Fußball, mit einem Wort: grauenhaft.
Doch dann ist es auch schon wieder vorbei und es kommen endlich die Lieder, von denen jedes Einzelne es lohnt, dafür am Montag in die gut gefüllte Arena gekommen zu sein. Bei „Promiscuous“ passt vom metallisch-dröhnenden Sound über die energische Backgroundsängerin bis zur Hiphop-Balz zwischen Nelly Furtado und ihrem Ersatz-Timbaland alles. Bei der Zugabe „Maneater“ greift Furtado schließlich selbst zur E-Gitarre und bratzt sich im silbernen Paillettenkleid ein würdiges Intro für den Elektro-Stampfer zusammen. Ein versöhnlicher Abschluss für einen Abend mit ebenso vielen Highlights wie Durchhängern.
In Pluderhosen, wie man sie zuletzt an MC Hammer gesehen hat, eröffnet Nelly Furtado ihr letztes Deutschlandkonzert. Eine stilisierte Dekopalme steht am Ende der Showtreppe und zusammen mit der aktuellen Single „Say it right“, für die sich Ultravox schon vor 25 Jahren nicht hätten schämen müssen, ergibt sich von der ersten Minute an ein überraschender Eindruck: Nelly Furtado ist die Gloria Estefan der nuller Jahre. Mit ihren gegelten Locken sieht sie nicht nur aus wie die 80er Ikone. Wie die kubanischstämmige Estefan hat die portugiesisch-kanadische Furtado auch gerade genug Multikulti-Appeal, um sich von anderen Popsängerinnen abzusetzen, aber nicht in der Nische zu landen.
Überhaupt ist vieles eine Frage der Dosierung bei Nelly Furtado. In guten Momenten mischt sie fröhliche Pop-Melodien mit melancholischen Texten perfekt ab. Dann springt sie zu „Powerless“ vom Vorgänger-Album „Folklore“ herum, auf der Leinwand im Hintergrund blüht eine digitale Rose auf und trotzdem hängen im Raum die Worte: „Das Leben ist zu kurz, um es nur für dich zu leben. Aber wenn man sich so ohnmächtig fühlt – was soll man da tun?“ Im Gegenzug bricht sie die Lebenslust ihrer Debütsingle „I’m like a bird“, indem sie das Stück in einer Moll-Version singt.
Doch die Brüche halten sich meist in den Grenzen des Stadionkompatiblen – und durchbrechen sie im Ausnahmefall leider nur in die falsche Richtung. Nach fünf druckvollen Liedern legt Furtado einen Balladenblock ein, der sich unglaublich in die Länge zieht und die Dramatik des Konzertes nachhaltig zerstört. Im schwarzen Abendkleid singt sie konventionellen Schnulz, den sie auf ihren Alben wohlweislich versteckt hält – ansonsten wird ja alles, was nicht bei „one, two, three, four“ auf den Bäumen ist, bei Furtado zur Single. Im Vordergrund tanzt ein Tänzerpaar etwas Erotisch-Intensives.
Immerhin ist der Sound bei den ruhigen Liedern sehr viel besser als bei den Uptempo-Nummern, wo E-Piano, verstärkte Gitarre und der metallische Twang von Furtados Stimme um die Wette scheppern. Aus der Balladenecke schafft es Furtado aber nur mit Hilfe ihrer Background-Sängerin heraus, die Justin Timberlakes „SexyBack“ röhrt, während sich Furtado zum dritten von insgesamt vier Malen umzieht. In schwarzer Stretch-Jeans und Muscle-Shirt geht es dann auf die Zielgerade.
Sänger Rea Garvey von den deutsch-irischen Poprockern Reamonn hat einen Kurzauftritt als Gastpfeifer bei „All good things“, was dem Lied aber nichts anhaben kann. Mit dichtem, druckvollen Arrangement bei gleichzeitig wehmütiger Grundstimmung gelingt Furtado noch einmal die perfekte Pop-Mischung, bevor sie mit den restlichen Singles aus ihrem aktuellen Album „Loose“ eh nur noch Treffer landet. Nach zwei Stunden Spielzeit und diversen „Berlin!!!“ und „I love you too!!!“-Rufen verschwindet Furtado hopsend in der Kulisse. „See you next time!“, hat sie vorher noch gerufen. Angesichts des tollen Schlussteils kann man sich das durchaus vorstellen.