Neues aus der Schule des Geschmacks

Feine Unterschiede: Kleine Übertreibungen und Zuspitzungen reichen Max Goldt, diesem zuverlässigen Seismografen sprachlicher Verwerfungen, um verbreitete Absurditäten herauszustellen. Auch in seinem neuen Buch. „QQ“, so heißt der Band, lässt sich dabei sogar als Manierenbuch lesen

Max Goldt formuliert Imperative. Er schreibt Sätze, die mit „Man sollte“ oder „Es darf sehr wohl“ beginnen

VON JÖRG MAGENAU

Endlich schreibt’s mal einer. „Nicht schön ist es, wenn Kinder nichtdeutscher Eltern, bloß weil man sie nicht Ausländer nennen möchte, als ‚Jugendliche mit Migrationshintergrund‘ bezeichnet werden.“ Max Goldt benennt den „Migrationshintergrund“ als das, was er ist: eine scheußliche Bürokratenphrase. Da könnte er, dessen Eltern 1945 aus Schlesien flohen, dann ja auch mit seinem „Vertreibungshintergrund“ auftrumpfen, und die alteingesessene Bevölkerung müsste zu „migrationshintergrundsfernen Personen“ erklärt werden. Wer will das schon. Doch Sprache, nimmt man sie ernst, ist nachtragend.

Max Goldt ist ein zuverlässiger Seismograf sprachlicher Verwerfungen. Ihm genügen kleine Übertreibungen und Zuspitzungen, um verbreitete Absurditäten herauszustellen. Seine zehnte Buchpublikation versammelt Kolumnen, die in den vergangenen zwei Jahren in der Zeitschrift Titanic erschienen sind. Der Titel „QQ“ stammt aus seinem vorigen Buch „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“, das neben anderen kleinen Szenen den Dialog zwischen einem Radiomoderator und einer Autorin historischer Kriminalromane enthielt. „QQ“, so hieß es dort, „steht für ‚quiet quality‘ – stille Güte. Ein neues Schlagwort aus den USA für alles, was nicht schreit und spritzt.“ Mit der Formel „QQ“ legt Goldt die Zielrichtung seiner heroischen Arbeit als Sprach-Entrümpeler fest. In einer Gesellschaft, in der Telefonflatrates mit dem Spruch „Quatschen ohne Ende“ beworben werden, weil endloses Gequatsche allen Ernstes als Verlockung verstanden wird, steht „QQ“ für eine fast schon erloschene Utopie. Die Welt wäre zweifellos besser, wenn sie ein Verstummungsgebot erließe oder wenigstens haltbare Ruhezonen schaffte.

Goldt betrachtet das alltägliche Sprachmaterial mit Verwunderung, ja mit Staunen. Dem Staunen widmet er eine eigene Kolumne, um es als Haltung zu rehabilitieren und ihm zwischen allzu cooler Abgeklärtheit und naiver Infantilität seine Berechtigung zurückzugeben. Das Staunen entspricht seinem Verfahren der Alltags- und Sprachbetrachtung. Er betreibt weder „Kritik“ noch „Affirmation“, sondern etwas dazwischen. Im besten Fall entstehen dabei liebevolle und vertrackt bösartige Preziosen über Leserbriefschreiber, Kleiderhaken oder Rohlingsspindeln, im schlechteren Fall bloße Geschwätzigkeit und Geschmäcklertum. Man kann die Welt durchaus entlarven, indem man sie lobt. Ein gutes Beispiel dafür ist Goldts Lob des Lustrums, des in der römischen Antike gerne gebrauchten Fünfjahresrhythmus, dessen konsequente Anwendung „private Geburtstage, Weihnachten, das Schanzengespringe an Neujahr oder die Berliner Sexual- und Lebensfreudemärsche“ mit einer deutlich gesteigerten Erwartungsfreude bereichern würde.

„QQ“ lässt sich durchaus als Manierenbuch lesen, als unsystematischen Gegenentwurf zu Prinz Asfa-Wossen Asserates wilhelminischer Benimmbibel. Auch Max Goldt formuliert Imperative des Verhaltens und schreibt Sätze, die mit „Man sollte“ oder „Es darf sehr wohl“ beginnen. Wer sich mit Geschmack, Distinktionen und Sprechweisen befasst, kommt nicht um Unterscheidungen zwischen richtig und falsch, schön und hässlich herum. Er protegiert eine Betrachtungsweise, die allenfalls auf dem Umweg über das Ästhetische politisch wird, und läuft damit Gefahr, zu einem bloßen Verteiler von Q-Tipps zu werden. Das wirkt manchmal versnobbt. Goldt mag beispielsweise keine dreckigen Autos, keine Falten in Tischdecken und keine an Rucksäcke geknüpfte Bärchen. Er lehnt es ab, während der Zahnpflege in der Wohnung herumzuspazieren, schreckt aber nicht davor zurück, sich als „Vater dieser Zeilen“ zu bezeichnen, der im „Reich der Kunstschriftstellerei“ tätig ist.

Aus Vorlieben und Abneigungen ergibt sich – falls sie nicht einfach nur dem Amüsement des Publikums anheim gestellt bleiben – eine Manieren- und Geschmacksschule des konservativ gewendeten alternativen Bürgertums. Mit seinem Blick auf die „feinen Unterschiede“ in Sprechweisen und milieubedingten Verhaltenskodizes offenbart sich der „Vater dieser Zeilen“ als ein Enkel des Soziologen Pierre Bourdieu. Aber Vorsicht: „Milieu“ gehört für ihn schon zu den Worten, die nicht schön sind und deshalb nicht in Frage kommen.

Unter allem Schönen und Hässlichen, das er geduldig unterscheidet, gibt es etwas, das immer schön ist: „Wenn jemand endlich schweigt.“ Mit dieser Bemerkung endet das Buch. Goldt schreibt jedoch in so wortreichen Arabesken, dass von Stille oder gar von Schweigen darin zwar die Rede ist, der Effekt aber eher ins Gegenteil umschlägt. Sein Ton ist von leiser Zurückhaltung und milder, kaum erkennbarer Ironie. Er ist ein schlendernder Spaziergänger im Landschaftspark der Sprache, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen exotische Gewächse inspiziert, hier und dort ein wenig Unkraut zupft und so manchen Wildwuchs beseitigt. Sein ziselierter, gewundener Stil demonstriert eine Haltung, mit der er der verbreiteten sprachlichen Simplifizierung die eigene Lust am Nuancenreichtum und an zarten Bedeutungsschattierungen entgegensetzt. Das ist, sofern es die Sprache betrifft, „schön“ und unbedingt zu unterstützen. Das wirkt, wenn es um Verhaltensregeln geht, zwangsläufig ein wenig hochnäsig. Die eigentliche Hoffnung, mit „quiet quality“ von der stillen Güte zur Güte der Stille vorzudringen, bleibt wohl oder übel uneingelöst. Sprechend und schreibend ist sie nicht zu erreichen. Vielleicht böte das Lustrum als Publikationsrhythmus genügend Zwischenräume, um auch dem Schweigen zwischendurch zu seinem Recht zu verhelfen.

Max Goldt: „QQ“. Rowohlt Berlin, Berlin 2007, 156 Seiten, 17,90 Euro