: Opfer an der zweiten Front
Militärisch können die Taliban den Nato-Truppen nichts entgegensetzen. Deshalb greifen sie immer mehr auf Selbstmordanschläge zurück
Der Norden Afghanistans ist nicht mehr die Region, die vom Krieg in Afghanistan verschont bleibt. Das dort stationierte deutsche Kontingent kann sich nicht mehr in relativer Sicherheit wähnen. Am Samstag sprengte sich auf dem Basar der Stadt Kunduz ein Mann in die Luft und riss acht weitere Personen mit sich in den Tod. Drei von ihnen gehörten einer deutschen Patrouille an, die auf dem Weg war, sich in einem Lager in der Stadt technisches Gerät zu besorgen. Ein Dolmetscher der Deutschen und weitere vier Passanten wurden getötet. Sechzehn Personen wurden zum Teil schwer verletzt, darunter fünf deutsche Soldaten.
Der Gouverneur der Provinz machte „die al-Qaida und ihre afghanischen Helfer“ für das Attentat verantwortlich. Er warnte, dass drei weitere Selbstmordattentäter seit kurzem in der Region sind. Ein Taliban-Sprecher bestätigte, einer der ihren habe die „Heldentat“ begangen.
Es sind Sabotageakte, Selbstmordattentate und Sprengfallen, die den Krieg in Afghanistan zunehmend jenem im Irak vergleichbar machen. Im Süden und Osten bringen Nato-Truppen den Taliban zwar schwere Verluste bei. An einer zweiten Front drohen die Taliban aber mit der demoralisierenden Wirkung ihrer Sabotageakte nun politisch die Oberhand zu gewinnen und so das Gesamtbild des Krieges auszugleichen. Die Reaktionen der Politiker in Deutschland signalisierten (mit Ausnahme der Linkspartei) zwar einen deutlichen Schulterschluss. Dennoch besteht kein Zweifel, dass die Taliban die Deutschen an ihrer schwächsten Stelle treffen: der geringen politischen Akzeptanz des Tods eigener Soldaten. Der Märtyrertod, der von den Mudschaheddin früher abgelehnt wurde, wird auch deshalb immer mehr zur bevorzugten Kampfform der Rebellen. Allein 2006 wurden in Afghanistan über 140 Selbstmordattentate gezählt.
Die Zahl gefallener Bundeswehrangehöriger liegt mit 21 Toten in sechs Jahren zwar weit unter der anderer Nato-Staaten. Doch je weiter sich die territorialen Kampffronten verwischen und die Selbstmordattentäter allgenwärtig erscheinen, desto größer werden die Risiken auch für die deutschen Soldaten im vergleichsweise ruhigen Norden.
Dabei sind die Soldaten ja noch relativ gut geschützt. Aber die Taliban unterscheiden nicht zwischen Soldaten und Zivilisten. Kürzlich kamen im Nordwesten des Landes zwei Mitarbeiter der Welthungerhilfe ums Leben. Und im vergangenen Herbst wurden zwei Journalisten der Deutschen Welle südlich von Kundus von Unbekannten ermordet. Am 16.April sprengte sich zudem ein Attentäter mitten in einer Versammlung afghanischer Polizisten in Kundus in die Luft. Neun von ihnen starben.
An der konventionellen Kampffront dagegen werden die Taliban regelrecht niedergemäht. Die Opferzahl von 1.400 Gefallenen in Afghanistan in den letzten fünf Monaten geht überwiegend zulasten der Islamkämpfer. Allein in den letzten vier Tagen sollen rund 120 Taliban im Kampf gefallen sein, viele von ihnen in der Folge von alliierten Luftangriffen. In der Provinz Paktia südöstlich von Kabul fielen 70 Kämpfer, in Kapisa nördlich davon 20, und in der westlichen Provinz Farah waren es auch 20 Kämpfer. In allen Fällen kam es zu Auseinandersetzungen am Boden, bevor Lufteinsätze die Entscheidung herbeiführten. Viele Gefallene wurden auch bei einem Gefecht gezählt, nachdem eine afghanische Militärpatrouille im Al-Asaj-Tal in der Provinz Kapisa angegriffen worden war.
Es erstaunt nicht, dass die Führung der Islamisten den Tod ihres Kriegschefs Mullah Dadullah dort rächen will, wo die Opferstatistik auf die andere Seite ausschlägt. BERNARD IMHASLY