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Archiv-Artikel

Doktor Graffiti

Christoph Tornow hat ein besonderes Hobby. Schon seit seiner Jugend interessiert sich der 30-jährige Arzt für Graffiti und Street-Art. In der Hamburger Galerie, die er gemeinsam mit einem Freund betreibt, stellt er seit einem Jahr Szenekünstler aus

Er könnte der Traum aller Schwiegermütter sein. Denn eigentlich war das Leben von Christoph Tornow vorgezeichnet: Er wächst in den 1980ern im gutbürgerlichen Winterhude auf, besucht ein Gymnasium in Harvestehude und spielt nachmittags Tennis. Später studiert er in Berlin Medizin und entscheidet sich für die Fachausbildung zum Augenarzt – ganz wie die Eltern.

Doch während sich die potenziellen Schwiegermütter über „Schmierereien“ an Wänden vor ihrer Haustür aufregen, nickt er nicht eifrig mit dem Kopf, sondern kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Denn was die einen empört, versteht der 30-Jährige als Kunst und stellt sie seit einem Jahr mit Daniel Grau in der gemeinsamen „Vicious Gallery“ im Schanzenviertel aus.

Tornow geht eben mit einem anderen Blick durch Hamburgs Straßen. Seitdem er mit 13 Jahren die Hiphop-Kultur für sich entdeckt hat, bleiben keine bunten Graffitis auf Bahnwaggons, unter Brücken oder auf Wänden von ihm unbemerkt. Wenn er an einer Ampel wartet, schaut er nicht den vorüber fahrenden Autos hinterher, sondern betrachtet kleine Aufkleber und winziges Gekritzel auf dem grauen Ampelpfahl. Die Straße ist für ihn ein Ort der Kommunikation.

„Für viele passt es nicht zusammen, dass ich Arzt bin und gleichzeitig eine Galerie für Urban Art betreibe“, sagt Tornow und schiebt seine kinnlangen, dunkelblonden Haare in Strähnen mit seiner Hand zurück. „Ich liebe eben zwei Dinge, die keinerlei Schnittpunkte haben.“ Und als er über seine Leidenschaften spricht, wird eines deutlich: Er führt ein Doppelleben, zumindest ein sprachliches. Denn während er beschreibt, dass Arzt sein für ihn nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebensentscheidung ist, dass es da um „gesellschaftliche Verantwortung“ und „Wissen über Leben und Tod“ geht, schmückt er die langen Sätze mit Worten wie „implizieren“ oder „dogmatisch“. Mit seinen Erzählungen über die Galerie werden die Sätze immer kürzer. „Man muss auch ein bisschen chillen!“, sagt er dann. „Durch die Arbeit in der Galerie check ich die Dienste im Krankenhaus.“

Mit der Eröffnung der Galerie hat er sich zwei Wünsche erfüllt: „Denn erstens habe ich überhaupt ausgestellt und mir zweitens erlaubt, meine eigenen Sachen zu zeigen.“ Danach folgen zwölf weitere Expositionen in Hamburgs einziger Galerie, die sich ausschließlich und regelmäßig mit Street-Art und Graffiti beschäftigt. Nach dem ersten Jahr zieht Tornow eine positive Bilanz: Die Kosten konnten durch die Verkäufe gedeckt werden. Aber nicht alle freuen sich über ihren Erfolg: Während der Ausstellung des Hamburger Künstlers Eric sprühten Unbekannte „Scheiß Kommerz“ auf die Außenscheibe der Galerie. Die Kritiker verstehen die Galerie als Ausverkauf einer Kunstform, die ihrer Ansicht nach nur auf der Straße stattfinden soll. „Ich verkaufe doch nicht Street-Art an sich“, sagt Tornow. „Ich verkaufe nur den Teil, der auch verkauft werden will.“ Er zupft an seinem gelben Pullover, seine Jordan-Schuhe machen ein quietschendes Geräusch auf dem Holzboden: „Sollen die mal ihr puristisches Ding weiter fahren.“

Ein Ende sieht Christoph jedenfalls nicht: Im Juli wollen sie umziehen, die nächsten Ausstellungen sind schon geplant. Den großen Os Gemeos aus Brasilien träumt er im nächsten Jahr nach Deutschland zu holen. Mittendrin sagt er noch: „Ach ja, und Operieren will ich auch lernen.“

Ein perfekter Schwiegermutter-Traum ist er vielleicht nicht geworden, dafür hat er aber seine ganz eigenen Träume. JASMIN KLOFTA