: „Grüne schlucken keine Kröten“
„…sie schließen aber Kompromisse.“ Die Bremer Grünen-Frontfrau Karoline Linnert erklärt, warum sie eine Koalition mit der SPD nicht zum „einzig möglichen exemplarischen Irgendwas“ aufblasen will – und welche gesellschaftlich-politische Vision die designierten Regierungs-Partner verbindet
KAROLINE LINNERT, 48, Dipl.-Psychologin, verheiratet, zwei Kinder, designierte Bremer Bürgermeisterin. Seit 1991 Bürgerschafts-Abgeordnete, Grünen-Fraktionsvorsitzende seit ’02.
Interview von BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Frau Linnert, bei der Mitgliederversammlung am Donnerstag wird niemand gegen Rot-Grün sein?Karoline Linnert: Ich wüsste da jedenfalls niemanden, der etwas anderes will. Wir hatten ja das Ziel, die große Koalition abzulösen, das steht im Wahlprogramm.
Obwohl jedem klar ist: Bei Koalitionsverhandlungen werden Kröten geschluckt?
Den Spruch kenne ich noch aus Zeiten der Ampelkoalition. Meine Antwort: Grüne schlucken keine Kröten. Wir schützen sie. Aber wir schließen Kompromisse.
Sie haben angekündigt: Wir beugen uns keinem Diktat. Und die Grünen sind unerwartet offensiv in die Sondierungsgespräche gegangen, manche haben gar gesagt: nassforsch …
Nein, nassforsch waren wir nicht. Wir sind da selbstbewusst hingegangen – auch weil wir glauben, dass eine gemeinsame Regierung nur klappen kann, wenn keiner den anderen unterwirft und keiner den anderen in die Pfanne haut – sondern argumentiert wird. Und wenn das, was beide an Menschen und politischen Ideen mitbringen, zusammen gefügt auch eine neue Qualität gibt.
Es gibt aber doch unveräußerliche Punkte – etwa die erklärte Absicht, das geplante Kohlekraftwerk, soweit das mit politischen Mitteln möglich ist, zu verhindern …
Ja, wir verhandeln auf der Basis unseres Wahlprogramms. Und da steht das drin. Trotzdem: Es gibt keine Knackpunkte, das wäre die alte Erpressungsstrategie. Wir hören uns Argumente der Sozialdemokraten an – für oder gegen die grünen Vorstellungen. So machen die das auch mit unseren Sachen. Die hören uns zu.
Der KKW-Widerstand wäre also doch veräußerlich?
Ich akzeptiere das Wort veräußerlich nicht. Wir werden für unsere politischen Vorstellungen in den Verhandlungen werben, kämpfen und argumentieren. Und wir werden in allen Punkten Kompromisse finden – also eine gemeinsame Lösung. Das birgt in sich, dass man anders aus Gesprächen herauskommt, als man reingegangen ist. Dazu sind die Grünen bereit.
Bei den Senatorenposten haben Sie gesagt: Da bekommen die Grünen zwei, die SPD fünf – das klingt nach schneller Einigung. Es sei denn es gäbe ein Ressort mehr …
Die Ressortfragen werden ganz am Ende der Koalitionsverhandlungen entschieden. Ich denke allerdings, dass man über die Frage: sieben oder acht Ressorts noch einmal reden sollte. Die Untersuchungsausschüsse …
… zum Klinik-Skandal und zum Fall Kevin …
… die haben ja gezeigt, dass dieses Ressort für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales relativ groß ist. Und dass das zu Schwierigkeiten führt. Es gibt also Argumente für acht Ressorts. Das werden wir auch noch einmal sagen. Das ist Teil der Verhandlungen.
Vor 16 Jahren, bei den Ampelkoalitions-Verhandlungen, haben Sie gesagt: Es fehlt die gemeinsame Vision. Die sei aber nötig für eine Regierungsbeteiligung. Gibt es die diesmal?
Ja, natürlich, da bin ich mir ganz sicher.
Wo denn?
Moment: Damals war es so, dass man aus der nackten Not heraus versuchen musste, eine Partei wie die Grünen mit der FDP zusammenzuzwingen. Die Grünen kommen in vielen Bereichen zum Ergebnis, dass der Staat seine Macht zur ökologischen und sozialen Regulierung auch nutzen muss. Die FDP ist eine politische Kraft, die jede Regulierung durch den Staat eher für Teufelswerk hält. Das, was man ein gemeinsames Projekt nennt, konnte man daraus nicht schnitzen.
Und mit der SPD gibt es eine Wesensverwandtschaft?
Das kommt darauf an. Mit einem SPD-Betonflügel wie in NRW, für den die Zukunft darin besteht, dass man nicht einen Zentimeter Kohlebergbau hergeben darf – mit diesem traditionalistischen Teil der SPD gibt es wahrscheinlich weniger Übereinstimmung als mit einem Modernisierungsflügel der CDU.
Karoline Linnert hat schlechte Erfahrungen mit Koalitionsverhandlungen: 1991 gehörte sie zur zehnköpfigen Grünen-Delegation, die „gegen 16 andere“ einen Vertrag mit FDP und SPD aushandelte. Linnert war stets als Gegnerin der Ampel aufgetreten und auch deshalb von der Grünen-Basis in die Kommission gewählt worden. Als ein Parteitag Anfang November ’91 nach drei – von sieben Wochen Verhandlungen über deren Fortsetzung oder Abbruch befinden sollte, empfahl Linnert – vergeblich – den Ausstieg. Dabei skizzierte sie Maßstäbe für eine sinnvolle Regierungsbeteiligung: „Ich denke, Projekte wie eine Regierungsbeteiligung brauchen viel Kraft, Wind und auch so etwas wie Überzeugung“, sagte sie damals. Davon sei aber nichts wahrnehmbar: „Wir haben, trotz all der Mühe, keine Vision von einem reizvollen Projekt.“ Zwar habe sich „die FDP“ in den drei ersten Verhandlungswochen „weniger scheußlich gebärdet“, als erwartet. Doch eine vielfach aufbrechende Bunkermentalität lasse „wenig Aussicht auf etwas, was mir Spaß macht. Und dass ein Stück Spaß beim Regieren dabei sein muss, und eben nicht nur so etwas wie Machtgeilheit, davon bin ich überzeugt.“ TAZ
Und in Bremen…?
In Bremen sehen wir bei der SPD die Bereitschaft, ökologische und soziale Verantwortung zu übernehmen. Und sich bei allem, was man macht, zu überlegen, was ist heute, morgen und übermorgen. Das kann man in Bremen als Wesensverwandtschaft bezeichnen. Deshalb glaube ich, dass diesmal eine Koalition der Vernunft herauskommt, die in der Stadt eine Stimmung erzeugt, aus der heraus die Menschen Lust haben, zusammen mit uns an Lösungen zu arbeiten.
Im Bund hat man 1998 vom „rot-grünen Projekt“ gesprochen …
Den Begriff benutze ich nicht. Es ist richtig, dass immer etwas Neues entsteht, wenn man Unterschiedliches zusammenschüttet. Aber das mit dem Projekt hat so etwas Überschwängliches – als wäre das etwas Einmaliges. So eine Koalition ist ein Bündnis auf Zeit. Das beruht nicht auf gegenseitiger Liebe, sondern auf einem hohen Maß von Vernunft und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das Aufblasen zum einzig möglichen exemplarischen Irgendwas, – nee, sorry, nicht mit mir.
Sondern?
Das wird eine rot-grüne Regierung. Und die ist so, wie andere Regierungen auch. Sie ist wichtig – ich glaube wirklich, das ist genau das, was Bremen im Moment braucht. Und ich glaube, dass von dieser Regierung etwas ausgehen kann: Wir stehen für einen Stadtstaat, der seiner sozialen und ökologischen Verantwortung gerecht wird.
Und dafür sehen Sie trotz der notorischen Bremer Finanzmisere Spielräume?
Ja, weil das auch eine Stilfrage ist: Das hat erstmal nichts mit Geld zu tun. Das hat damit etwas zu tun, dass man die Leute ernst nimmt. Wir wollen den Menschen zuhören und mit ihnen Argumente austauschen. Wir wollen die Beiräte stärken und auch für so komplizierte Sachen wie Finanzpolitik Diskurse organisieren. Was das so unerträglich gemacht hat hier in den letzten Jahren, ist eine Art Verlautbarungsdiktatur. Es hieß nur noch: Das ist so. Und nicht anders. Ich möchte den Menschen Gesprächsangebote machen und mit ihnen diskutieren. Das ist die Voraussetzung für gute politische Lösungen.