piwik no script img

Archiv-Artikel

Das große Bild der Populärkultur

INVESTIGATION Die Mehrzahl der Spielfilme kommt weltweit ohne weibliche Hauptdarstellerin aus

In „Thelma und Louise“ spielte Geena Davis eine Frau, die sich zu wehren weiß, in „Eine Klasse für sich“ die Urmutter der amerikanischen Baseball-Frauen und in einer Serie die erste Präsidentin im Weißen Haus. Die Filme, die sie mit ihren Kindern sah, strotzten dagegen von abgestandenen Rollenklischees.

Die 1958 geborene Schauspielerin, Bogenschützin und Angehörige des Hochbegabten-Clubs Mensa gründete aus dieser Erfahrung heraus ein Institut, das seine Lobbyarbeit gegen die simplen Mechanismen des Backlash und für eine klüger ausbalancierte Spiegelung der Geschlechterverhältnisse durch wissenschaftliche Studien unterfüttert.

Wie eine NGO im eigenen Land bemüht sich das Geena-Davis-Institut um Aufklärung. Das „Big Picture“ der Populärkultur sieht nämlich immer noch so aus: Frauen machen 52 Prozent der Weltbevölkerung aus, sind aber höchstens zu einem Drittel in Filmen präsent. Differenziert man nach Hauptrollen, bleiben im Durchschnitt noch gut 23 Prozent – in manchen Filmproduktionsregionen fehlen Protagonistinnen ganz, z. B. in Russland, in US-amerikanischen und britischen Gemeinschaftsblockbustern und erstaunlicherweise auch in den zehn französischen Top-Filmen des Jahres 2011.

Mehr Bewusstsein für den Einfluss der Medien lautet der Appell an die Storyteller, Finanziers und Filmvermarkter. Richtschnur ist das Millenniumsziel der UN, Diversität und Gleichberechtigung zu erreichen, gerade weil die aktuellen Krisen und Kriege auch mit Bildern geführt werden, die den medialen Gewaltfetischismus an Realitätsgehalt grausam überbieten.

Beobachtete Stagnation

„Gender Bias without Borders“, die jüngst veröffentlichte Studie des Geena-Davis-Instituts – in Kooperation mit der „Diversity and Social Change Initiative“ der Annaberg School (Universität Southern California USC) für UN Women erstellt –, bringt lapidar auf den Punkt, dass die gigantische Blockbuster-Produktion in Hollywood ein „Exempel für die Stagnation des Fortschritts“ sei. Die Industrie, heißt es da, verschlafe die Zukunft, den „Push für die Frauen“, den UN Women trotz aller Rückschritte in weiten Teilen der Welt beobachtet und weiterzuentwickeln versucht. Diesen Befund vergleicht die Studie mit Zahlen zur Geschlechterrepräsentation in den umsatzstärksten Filmen der elf großen Weltregionen der Filmproduktion und -vermarktung.

Ein Sample aus 120 Filmen der Jahre 2011 bis 2013 aus Australien, Brasilien, China, Indien, Japan, Korea, Russland, Frankreich, Deutschland, den USA, Großbritannien und aus britisch-amerikanischen Koproduktionen, allesamt die Top-Blockbuster ihres Jahrgangs, wurde von der Medienwissenschaftlergruppe penibel ausgezählt. Arthouse-Filme, überhaupt alle kleinen und mittleren Schätzchen regionaler Filmkulturen fallen aus ihrem Raster heraus. Und die Eingangsthese der Studie, dass Filme eins zu eins das Wertesystem ihres jugendlichen Publikums in der außerfilmischen Realität prägen, geht von einem allzu schlichten Reiz-Reaktions-Modell aus. Was die scharf geschnittene Untersuchung jedoch deutlich macht, ist ein peinliches Gesamtbild der Filme, hinter denen das größte Kapital und die mächtigsten Vermittlungskanäle der Bewusstseinsindustrie stehen.

Australien, China, Japan und Korea leisten sich 40 Prozent weibliche Hauptrollen, Deutschland nur 20 Prozent (bei 35 Prozent kleinerer Sprechrollen für Frauen in deutschen Kinos). China produzierte Hype-Filme mit 30 Prozent gleich starker Besetzung für Männer und Frauen, Deutschland liegt mit 20 Prozent auf dem gleichen Niveau wie Korea, Großbritannien und Brasilien.

Ein weiteres Ergebnis: Egal wo auf der Welt Blockbuster konzipiert werden, greift das Klischee, Frauenrollen müssten von attraktiven jugendlichen, viel Haut zeigenden Schauspielerinnen verkörpert werden. Ein Viertel aller weiblichen Parts, aber nur knapp zehn Prozent der männlichen appellieren an eine sexualisierte Wahrnehmung. Noch krasser das Ressentiment, dass Schauspielerinnen dünn sein müssten, keine technisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen ausspielen und so gut wie nie den Boss verkörpern dürften.

Mit dieser Studie hält das Geena-Davis-Institut den Studiochefs, Investoren und Standesorganisationen den Spiegel vor. In Workshops und Konferenzen wirbt es für den „Social Change“, der durch Filme vielleicht nicht ausgelöst wird, ohne sie aber nicht denkbar ist. Die Raster seiner Statistik sind sicher nicht fein genug, um die komplexer funktionierende, öffentlich subventionierte kleine Filmindustrie Deutschlands präzise abzubilden, sie bestätigt allerdings, dass es an der Zeit ist, die Schieflage der Genderverhältnisse auch hierzulande in einer qualifizierten Untersuchung auf den Punkt zu bringen. CLAUDIA LENSSEN