Relikte der Götter

Kein Konsens, niemals Zeitgeist: 3sat zeigt „Jene ihrer Begegnungen“ (23.30 Uhr), die letzte Zusammenarbeit des Autorenpaares Straub-Huillet

VON CRISTINA NORD

Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet machen viel Arbeit – und erst in der Arbeit Vergnügen. „Jene ihre Begegnungen“ entwickelten Straub und Huillet mit Laiendarstellern in der Toskana, zunächst als Theateraufführung, dann als Film. Die Laien nahmen sich ein Jahr lang Zeit, sich in die Texte einzufinden – fünf Dialoge aus Cesare Paveses „Dialoghi con Leucò“ („Gespräche mit Leuko“), fünf Dialoge zwischen Göttern, Halbgöttern, Nymphen und Heroen. Der Film besteht aus fünf etwa 12-minütigen Sequenzen und einem kurzen Epilog. Jeweils zwei Figuren stehen an einem Ort in der freien Natur, an einem Hang, in einem Hain, zwischen Felsen oder in einer Schlucht. Das Grün der Blätter, die Äste oder die Form des Steins zeichnen sich klar vor dem blauen Himmel ab; Huillet hat solche Formationen der Natur vor lichtem Himmel einmal als Versteinerungen, Relikte der Götter in der Gegenwart beschrieben.

„Jene ihre Begegnungen“, im Wettbewerb der Filmbiennale von Venedig 2006 uraufgeführt, ist der letzte Film, den Straub und Huillet gemeinsam drehten. Im vergangenen Oktober verstarb Danièle Huillet – 44 Jahre nachdem die beiden französischen Filmemacher mit „Machorka-Muff“ ihr Debüt vorgestellt hatten. Es waren 44 Jahre einer produktiven und provokanten, an Konsens und Einfühlung in den Zeitgeist nicht interessierten Zusammenarbeit, 44 Jahre eines schwierigen, spröden und intellektuellen Kinos, das den, der es sich zu erarbeiten willens ist, vieles lehrt – zum Beispiel, welche Räume sich dem Politischen im Kino öffnen, wenn man es nicht vom Sujet, sondern von der Radikalität der Form her denkt. Dabei stimmt durchaus, was Franco Fortini 1979 in Il manifesto über die Filmemacher schrieb: „Die schlechteste Art, auf Straub zu antworten, ist zu sagen, dass seine Filme uns gefallen. Kurz, die Trennung verläuft zwischen dem einen und dem anderen Teil von uns; jenem, der sich dieser ethischen Gewalt stellt, jenem, der sie nicht erträgt.“

In „Jene ihrer Begegnungen“ sprechen die Darsteller, indem sie deklamieren; es gibt wenige, dafür umso deutlicher als Zäsur wahrnehmbare Schnitte. Meist rührt sich die Kamera nicht. Am Ende, im kurzen Epilog, fährt sie vom staubigen Gras einer Brache über die Häuser eines Dorfes Richtung Himmel. Bei einem Hügel hinter dem Dorf macht sie halt, kaum dass der letzte Giebel am unteren Bildrand verschwunden ist; ein Stromkabel quert den Bildausschnitt, auf dem Hügel, in der Ferne, sind Sendemasten wahrnehmbar.

„Jene ihre Begegnungen“ knüpft unmittelbar dort an, wo Straub und Huillet 1978 mit „Von der Wolke zum Widerstand“ – auch dies eine Bearbeitung der „Dialoghi con Leucò“ von Pavese – ansetzten. Dies entschlüsselt die kundige Einführung von Peter Nestler, die 3sat dem Film um 23.10 Uhr voranstellt. Nestlers „Verteidigung der Zeit“ genannter kurzer Film stellt den Kontext her, indem er Ausschnitte aus „Von der Wolke zum Widerstand“ zeigt. In beiden Werken geht es um das Verhältnis von Göttern und Menschen, um die Möglichkeit oder die Unmöglichkeit, gegen die Herrschaft der Ersten aufzubegehren, um den Blick der Unsterblichen auf das Leben der Sterblichen und um die Dialektik, die die Beziehung derer, die dienen, zu denen, die herrschen, prägt. Der Mythos wogt nicht als raunende Vergangenheit; er ist kristallin wie der Himmel über der Toskana, ein Instrument, um zu klären, was heute ist und was sein wird.