Trolle gegen eine öde Welt

FINNLANDS BOTSCHAFTER Das Schwule Museum widmet der finnischen Zeichnerin und Erzählerin Tove Jansson zu ihrem 100. Geburtstag die Ausstellung „Mumins zauberhafte Welt“ – für Kinder und für alle anderen auch

VON JAN FEDDERSEN

Der Legende nach soll die schon nicht mehr so ganz kleine Tove Jansson mit ihrem älteren Bruder philosophisch debattiert haben; das war nicht ungewöhnlich in ihrer Familie, man lebte nicht im Mainstream der finnischen Gesellschaft, man zählte irgendwie zur Boheme des Landes. Das Gespräch zwischen Schwester und Bruder geriet zum Zwist – am Ende lief die junge Tove Jansson auf die Toilette, um mit einem Stift eine knollennasige Figur an die Wand zu zeichnen. Sie nannte sie „Kant“.

Diese Geschichte mag sich exakt so zugetragen haben – Tove Jansson Figuren wurden schließlich Mumins genannt, der Mumintroll war die erste davon, und ihm folgten noch viele weitere. Troll als Wort hat ja heutzutage einen bösen Klang, ein solches Wesen nervt, stänkert rum, macht Ärger, ist kaum aus der Wolle zu kriegen – eine Klette, die nichts in Ruhe lassen kann.

Was die 1914 geborene Tove Jansson nicht wissen konnte, war, dass eines Tages ihre Comicfiguren aus der Muminfamilie, ihre Geschichten über dieser niedliche Kohorte weltberühmt, ja, zum designerisch volkstümlichsten Produkt Finnlands überhaupt avancieren sollte: Mumins (mit langem u!) sind niedlich, drollig und kindgemäß. Trinkbecher mit Motiven von den liebenswerten Monstern gibt es in Helsinki in jedem Kaufhaus, das Land überhaupt wirbt mit den Figuren.

Dass das Schwule Museum nun eine eigens Kindern gewidmete Schau mit Werken Tove Janssons zeigt – „Mumins zauberhafte Welt – Ein Trollabenteuer“ – ist dem meist nicht bekannten Umstand geschuldet, dass Tove Jansson eine lesbische Künstlerin war, die mit ihrer Lebensgefährtin, Tuulikki Pietilä, ebenfalls Künstlerin, 50 Jahre bis zu ihrem Tod zusammenlebte. Man kann also die Mumins nicht lesen und gut finden, ohne das Queere, das Nichtheterosexuelle wahrzunehmen.

Das fällt in der dreiteiligen Ausstellung im Schwulen Museum nicht schwer: Sowohl in der Sektion „Wald“ als auch in der „Lichtung“ oder in der zum „Meer“ sind eindeutige Geschlechtsmerkmale der Mumins nicht identifizierbar. Und zwar auf eine Kindern noch mögliche, Erwachsenen jedoch nur putzig scheinenden Art: Mumin-Figuren sind sehr eigen, sie sind jeweils unverwechselbar, sie erleben sehr viel Aufregendes, sie regeln die Dinge des Alltags in einer Mixtur aus Sekundenhysterie und Langzeitgelassenheit. Das einzige Accessoire, das bei diesen Wesen besonders hervorsticht und das „Mumin“-LeserInnen nur zu gut kennen, ist Mutters Handtasche. Überall ist sie dabei – im Schwulen Museum kann sie jedem der Mumin-Familienmitglieder umgehängt werden. Das sieht an allen immer sehr eigen aus und gut.

Man könnte an dieser Stelle als Bedenken vortragen: Ja, ist das denn wichtig – dieses Lesbischsein? Ist das Sexuelle nicht egal? Wäre es nicht schöner, wie etwa auf der deutschen Wikipedia-Seite über Tove Jansson, das Liebesleben ganz zu verschweigen? Gut möglich, dass das in einer anderen Welt ginge. In dieser wirklichen jedenfalls geht alle Welt davon aus, dass Trolle und Kinder nur im gemischtgeschlechtlichen Kontext denkbar und sinnvoll sind. Bei dieser Finnin, man könnte sagen: der Nationalzeichnerin schlechthin, muss das aber deutlich gesagt werden, denn sonst verschwiege man ja ihre Liebe, ihr Begehren, ihre Art, die Welt zu sehen – und das hat eben sehr mächtig etwas mit einer offenbar guten Herkunftsfamilie (sehr okaye, wie man liest gewaltlose Beziehungen) in Freiheit zu tun und damit, dass Jansson und Pietilä nun wirklich ein sehr schönes Liebespaar waren – bis dass der Tod sie auf Erden schied.

Diese Ausstellung macht unbedingt Spaß, sie lohnt mit Kindern bis zwölf Jahren. Im Übrigen ist sie nicht nur Kindern vorbehalten, so wie es Erwachsenen ja auch nicht verboten ist, „Shaun das Schaf“ zu gucken. „Süß“ sind die Mumins nicht, nur sehr eigensinnig und gemeinsam. Lohnenswert.

■ Schwules Museum, Lützowstraße 73, Mo., Mi., Do., Fr., So. 14 bis 18 Uhr, Sa. 14 bis 19 Uhr, Di. Tonwerkstatt zu den Mumins (Anmeldung erforderlich)