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Archiv-Artikel

Wer nicht aufpasst, ist angeschmiert

AUSSENWERBUNG Wildes Plakatieren ist in Berlin verboten. Aber das kümmert keinen. Es gibt einfach zu wenige offizielle Mietflächen – und dafür sind happige Gebühren fällig. Clubs, Flohmärkte und Demo-Veranstalter sind auf illegale Dienstleister wie Kevin angewiesen

„Wenn ich möchte, kann ich jeden Tag arbeiten“

PLAKATIERER MARCO

VON MORITZ FÖRSTER

Stromkästen, Laternenpfähle und Altpapiercontainer führen in Berlin ein ziemlich klebriges Dasein. Wildplakatierer ziehen durch die Stadt und kleistern ihre Plakate überall dort an, wo sie ein geeignetes Fleckchen finden. Obwohl das verboten ist, sind Plakate selten länger als ein paar Stunden zu sehen, bevor der nächste Plakatierer sie schon wieder überklebt.

Kevin ist Wildplakatierer, seinen richtigen Namen möchte er nicht verraten. Hier am Ostkreuz, eigentlich einer der Lieblingsplätze der Wildplakatierer, möchte er nun doch nicht plakatieren: Vor dem Eingang zum S-Bahnhof steht ein Wagen des Ordnungsamts. In diesem Jahr haben ihn die Ordnungshüter bereits zweimal erwischt. Das erste Mal waren 150 Euro fällig, das zweite Mal 500.

„Das war schon happig“, sagt er, während sich ein steter Strom von S-Bahn-Reisenden seinen Weg entlang von Pfützen und Bauzäunen bahnt. Ordnungshüter müssen Wildplakatierer auf frischer Tat ertappen, um sie für die Ordnungswidrigkeit verantwortlich zu machen. „Das passiert eigentlich nur selten“, erzählt Kevin.

Kleister auf dem Rad

Etwas wehmütig sagt er: „Wenn ein Plakat zwei Stunden am Ostkreuz hängt, dann hat es ein Haufen Leute gesehen“. Aber diesmal ist ihm das Risiko einfach zu hoch. Er schwingt sich auf sein Fahrrad, ein ausrangiertes Postrad, und setzt seinen Weg gen Boxhagener Straße fort. Bereits nach wenigen Metern hält er an einem Stromkasten.

Auf der hinteren Ladefläche seines Rads steht ein Eimer mit gewöhnlichem Tapetenkleister, vorne neben den ganzen Plakaten ein Besen, den er in den Eimer eintunkt, um anschließend den Kasten einzustreichen. 15 unterschiedliche Plakate hat Kevin dabei – doppelt so viele wie sonst. „Eine Ausnahme“, erklärt er, da er einige Plakate mit einem Plakatierer getauscht hat, der in einem anderen Kiez seine Runde dreht.

Zusammen mit „Robert“, einem alten Freund aus Berliner Jugendtagen, betreibt Kevin eine Marketingfirma in Friedrichshain. Ihre Kunden – darunter Clubs, Bioläden, Flohmärkte oder Veranstalter von Demonstrationen – wissen, dass die Plakate nicht an legalen Mietflächen und Litfaßsäulen landen, sondern querbeet überall dort, wo bereits andere Plakate hängen: etwas wild halt. Inzwischen ziehen auch zwei freie Mitarbeiter auf Honorarbasis für die beiden Firmeninhaber los. Ihr Kerngebiet sind Straßen und Plätze, an denen die Zielgruppe der Werbetreibenden unterwegs ist, beispielsweise die Warschauer Straße, das Kottbusser Tor und der Rosenthaler Platz.

Das Geschäft lohnt sich, was allerdings nicht bei allen Beteiligten für Freude sorgt. So fürchtet der Fachverband Außenwerbung um das „harmonische Stadtbild“. Wildplakatierer zahlen zudem weder eine Pacht an die Stadt noch die Kosten für die Entsorgung der Plakate. Allerdings entgegnen Robert und Kevin, dass die vorhandenen offiziellen Mietflächen gar nicht ausreichen. Gerade Veranstalter aus der Subkultur seien daher auf die freie Plakatierung angewiesen, um ein ausreichend großes Publikum anzusprechen. Zudem würden sie als Unternehmer Steuern zahlen und den Umsatz in Clubs, Bars und Konzerten ankurbeln.

Die offiziellen Mietflächen werden vor allem von zwei Firmen betrieben: der Wall AG und deren Konkurrenz Die Draußenwerber. Deren Chef, Marc Bieling, rechnet vor, dass die legale Variante im Schnitt günstiger sei – schließlich wird „der Aushang für den gebuchten Zeitraum garantiert. Niemand kann das Plakat einfach so überkleben, wie es bei der Wildwerbung passiert.“ An diese Spielregel halten sich auch die Wildplakatierer. „Offizielle Flächen sind tabu“, sagt Robert.

Robert kennt sechs weitere Berliner Unternehmen, die als externe Dienstleister wild plakatieren. Sie alle haben ihre Wurzeln in der Clubszene. Auch er und Kevin zogen Anfang 2008 zum ersten Mal auf eigene Faust los, um ihre Drum-’n’-Bass-Partys zu promoten. Erst als immer mehr Freunde und Bekannte ihnen ihre Plakate mit auf den Weg gaben, entwickelte sich daraus ein Geschäftsmodell. Rund 40 Cent zahlen die Auftraggeber je Plakat. Etwa die Hälfte davon geht an die freien Mitarbeiter. Schnelle Plakatierer wie Robert schaffen bis zu 100 Plakate in einer Stunde. „Wenn ich möchte, kann ich jeden Tag arbeiten. Aufträge gibt es genügend“, berichtet Marco, der für einen Wettbewerber unterwegs ist. Die meisten freien Mitarbeiter sind auf der Suche nach einem Job beim Wildplakatieren gelandet. Marco hat zwei Kinder, und auch viele seiner Kollegen hätten bereits Familien, weiß er.

„Aufgrund der hohen Nachfrage durch die Clubs wird der aktuelle Boom noch eine Weile andauern“, prophezeit Kevin. Langfristig werde es aber schwieriger, auf dem Markt zu überleben: Nicht nur dass das Ordnungsamt strenger kontrolliert, teilweise würden wild benutzte Flächen legalisiert und an die großen Anbieter vermietet.

Robert und Kevin, die mit ihren Schirmmützen, Stickern und Kapuzenpullis immer noch eher wie DJs denn wie Jungunternehmer daherkommen, planen daher bereits jetzt für die Zeit nach der Plakatanarchie: Erst vor Kurzem haben sie einen ganz legalen Auftrag an Land gezogen – sie hängten Wahlplakate für die CDU zu den Brandenburger Landtagswahlen auf. Auch für die Grünen haben sie bereits Plakate vorbereitet, aber noch nicht aufgehängt. Einen ähnlichen Auftrag für die Partei Die Freiheit haben sie dagegen abgelehnt.