berliner szenen Blind Dating (1)

Begegnung mit Anna K.

Schon am Telefon war sie so herzlich. Ich fand, sie hatte einen schillernden Namen, der auch in Wörtern wie „Leergutannahme“ oder „Lottoannahmestelle“ zu finden war. Das sprach für sie. Was ich weiter wusste, war: Sie ist verheiratet, sie ist Mutter. Ich verabredete mich trotzdem mit ihr. Dann saß sie da vor diesem neuen Café in Nordneukölln und sah etwas anders aus als auf dem Foto. Vor ihr ein halb ausgetrunkenes Glas Rotwein. Wir umarmten uns kurz. Sie erzählte mir alles über ihre Familie, über ihren Namen, über ihr Kind. Darüber, dass sie vor ihrer Ehe mit einer Frau zusammen war.

Ich weiß nicht mehr, was ich erzählt habe – nicht so viel vermutlich. Ich erzähle ja nie so viel. Ich bin scheu und schüchtern.

Nach einer Weile geschah, was geschehen musste. Die beiden Geißeln des Kaffeehaustrinkens im Freien schlugen unbarmherzig zu: eine Straßenmusikcombo mit schlechter Musik und das von kaltblütigen Bedienungen so beiläufig wie selbstverständlich fallen gelassene Wort „Schichtwechsel“, das einen in Situationen, in denen man es gar nicht braucht, das Gespräch unterbrechen und nach der Geldbörse kramen lässt. Tollerweise waren Anna und ich uns einig. Sie meinte, man solle ein Straßenmusik- Warnschild erfinden. „Ein roter Kreis mit einem durchgestrichenen Akkordeon“, sagte sie und lächelte. „Und an manche Kaffeehäuser sollte man ein schlangenhaftes S sprühen“, sagte ich, „als Warnung vor dem Schichtwechsel.“ Wir lachten. Der Abend wurde lang, wir wurden betrunken, wimmelten noch einen Rosenverkäufer, eine Truppe Zeitungsabowerbende und einen Polaroidkameramann ab. Dann musste Anna heim, ich streifte über den Kottbusser Damm und hielt nach einem Kurzstreckentaxi Ausschau. RENÉ HAMANN