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Archiv-Artikel

Angie muss sich warm anziehen

Die deutsch-polnische „Stranddiplomatie“ an der Ostsee soll die Großwetterlage zwischen beiden Staaten verbessern. Lösungen erwartet sich niemand

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Einen dicken Pullover, warme Socken und wetterfeste Schuhe wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen sicher brauchen. Denn nicht nur am Ostseestrand auf der Halbinsel Hela wird ihr heute Abend ein rauer Wind ins Gesicht wehen. Die Großwetterlage in den deutsch-polnischen Beziehungen ist kühl bis frostig.

Dies zeigt auch das Programm des heutigen Tages: Ausgerechnet auf dem Warschauer Militärflughafen will Regierungschef Jarosław Kaczyński mit der Kanzlerin sprechen. Die Themen sind schwierig: Stationierung von Teilen des amerikanischen Raketenabwehrschildes im Norden Polens, Zustimmung der polnischen Regierung zum EU-Verfassungsvertrag, deutsch-russische Gaspipeline durch die Ostsee, Eigentumsansprüche deutscher Vertriebener an Polen und deren geplantes Zentrum in Berlin.

Alles werden die beiden Regierungschefs in der kurzen Zeit nicht besprechen können. Aber Lösungen erwartet sich von diesem ersten Gespräch ohnehin niemand. Immerhin kann Merkel danach fast eine Stunde lang mit Studenten der Warschauer Universität über die Zukunft Europas und die deutsch-polnischen Beziehungen sprechen. Da der Besuch angesichts der angespannten deutsch-polnischen Beziehungen mit großer Spannung erwartet wurde, strahlt das Fernsehen Merkels Vortrag aus, so dass bei der späteren Debatte über eine mögliche Aufhellung der deutsch-polnischen Wetterfront alle mitreden können.

Am Nachmittag fliegen Merkel, ihr Mann Joachim Sauer mit Präsident Lech Kaczyński und dessen Frau Maria an die die Ostsee. Dort werden die eigentlich wichtigen Gespräche stattfinden. Ohne Kameras und Mikrofone. Viele Polen hoffen, dass diese „Stranddiplomatie“ im kaschubischen Fischerort Jurata einen Durchbruch bringt. Auch und vielleicht gerade deshalb, weil die Ehepartner der Regierungschefs dabei sind.

Merkel hat ein großes Interesse daran, ihren EU-Vorsitz erfolgreich zu Ende zu bringen. Polens nationalkonservative Regierung sträubt sich aber, auch nur einen Termin für die Abstimmung über die Verfassung festzulegen, um ein Druckmittel gegen die Deutschen in der Hand zu behalten. Möglicherweise kann man für das „Ja“ noch etwas aushandeln, so das Kalkül. Denn die Polen selbst, das zeigen immer wieder Umfragen, würden die EU-Verfassung in ihrer überwiegenden Mehrheit sofort unterschreiben. Was die polnische Regierung dafür fordert, ist bis heute unklar.

Sonst aber gibt es eine ganze Latte polnischer Forderungen. So soll Berlin den Vertrag über die deutsch-russische Gaspipeline aufkündigen, die an Polen vorbeiführt. Dass der Vertrag nicht von der Bundesrepublik, sondern den beteiligten Unternehmen unterzeichnet wurde, kümmert die Politiker in Warschau insofern nicht weiter, als Exkanzler Gerhard Schröder am Geschäft beteiligt ist und – noch im Amt – Polens Interessen bewusst missachtet habe. Dabei hätte Schröder klar sein müssen, dass die Ostseepipeline es Moskau ermöglichen würde, Polen ganz nach Belieben den Energiehahn zuzudrehen.

Zudem wünscht sich Polens Regierung, dass Deutschland die Kosten für eventuelle Entschädigungen deutscher Vertriebener übernimmt. Die Klagen der Vertriebenenorganisation „Preußische Treuhand“ vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg sorgen im Land für große Unruhe und Angst. Schließlich wünscht sich Polen ein stärkeres deutsches Engagement in der Nato und bei den Verteidigungsanstrengungen Europas. Der Entschluss der polnischen Regierung, sich am US-Raketenabwehrschild zu beteiligen, ist indirekt auch gegen Deutschland als zu schwachen Nato-Bündnispartner gerichtet. Dass die meisten Polen dies anders sehen (siehe Bericht unten und Kasten), kümmert polnische Politiker wenig. Viel Gepäck also für den Strandspaziergang.