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Archiv-Artikel

Diese Wackelbilder

In Libyen kaserniert im Luxushotel, und nach Syrien kommt man als Reporter gar nicht erst rein: die Kriegsberichterstattung aus dem Nahen Osten unter erschwerten Bedingungen

von Jörg Armbruster

Die Kontext:Wochenzeitung will wissen, ob wir wirklich wissen, was wir tun hier im Nahen Osten, der jeden Tag sein Gesicht ändert. In Ägypten heute Streit über ein neues Wahlgesetz, morgen Anklage Mubaraks, im Jemen schießen Ahmar-Anhänger auf Saleh-Anhänger oder umgekehrt, das sind zwar Feinde, aber auch Verwandte, und mit Demokratie hat keiner von den beiden was am Hut. Aber zu sehen sein soll niemand bei diesem Duell. Also bekommen wir keine Visa, obwohl alle nach Berichten schreien in der ARD.

In Libyen ist Gaddafi immer noch an der Macht – wie lange noch, will jeder Moderator in Deutschland wissen. Am liebsten würde man antworten: „Woher soll ich das wissen?“ Die fernsehkorrekte Antwort lautet stattdessen: „Das ist schwer einzuschätzen, denn weder seinen Truppen noch den Rebellen sind in den letzten Tage Geländegewinne gelungen.“

Aus Syrien kommen nur diese Handywackelbilder, dramatisch genug, die aber kein Zuschauer mehr sehen mag. Und überprüfen kann sie der Fernsehkorrespondent schon gar nicht. Auch bei der Einschätzung dieses Aufstandes ist er mehr auf Spekulationen angewiesen als auf Erkenntnis durch Augenschein. Syrien hat sämtliche Eingänge verrammelt. Baschar will nicht, dass ihm irgendjemand zusieht, wie er sein Volk zusammenschießt. Und jeden Tag ruft die „Tagesschau“ an. Das alles ist schon anstrengend genug und manchmal frustrierend. Und dann das. Die Kontext:Wochenzeitung will wissen, ob wir wirklich wissen, was wir tun. Die lässt nicht locker, schickt Mail um Mail, als hätten wir nichts anderes zu tun. Die nervt. Wahrscheinlich muss sie das.

Leben im goldenen Käfig eines libyschen Luxushotels

Aber sei's drum. Die Fragen sind ja so verkehrt nicht. Wir stellen sie uns auch, und manchmal beantworten wir sie sogar. Zum Beispiel die: Wie arbeitet ein TV-Korrespondent in einem Kriegsgebiet, zum Beispiel in Libyen? Leider ist Tripolis kein gutes Beispiel für Berichterstattung aus einem Krieg, eher ein Beispiel für die Frage: Wie lange hält ein Journalist Käfighaltung aus? Meine Antwort: maximal vier Wochen. Das Leben in diesem goldenen Käfig, dem Hotel Rixos, in dem auch Gaddafis Sohn Saif al-Islam eine Zimmerflucht hat, sieht so aus:

„All journalists! Come to meeting hall. There is a press conference!“ Kein Bitte, keine Erläuterung, wer auf der Pressekonferenz sprechen wird. Die militärisch knappe Ansage kommt über Lautsprecher, die in jedem Hotelzimmer in die Decke eingebaut sind. Überhören kann man diese geschnarrten Befehle nicht. Abstellen kann man die Lautsprecher auch nicht. Jeder soll sofort verfügbar sein. Die Propaganda Gaddafis kann nicht warten. Selbst weit nach Mitternacht kläfft gelegentlich eine Stimme von der Decke: „All journalists, come to meeting hall!“ Der Pressesprecher Gaddafis, Mussa Ibrahim, lädt zur Pressekonferenz, mehrmals am Tag, immer über Lautsprecher im Ton eines Feldwebels beim Morgenappell.

Er, der aus dem Gaddafi-Clan stammt, ist der Ausrufer des Revolutionsführers im Hotel und verfügt über eine Allmacht, an der keiner vorbeikommt. Er verkündet in fast jeder Pressekonferenz, die Aufständischen seien Al-Qaida-Terroristen oder bewaffnete Banden, Gaddafis Truppen würden sich an die Waffenstillstände halten, die Tripolis mehrfach ausgerufen hatte, und nur kämpfen, wenn sie angegriffen würden.

In der Stadt ist immer ein Aufpasser dabei

Bei ihm müssen wir es beantragen, wenn wir in der Stadt drehen wollen. Er sucht den Aufpasser aus, der uns begleiten wird, immer freundlich, aber bestimmt. Ein solcher Minder, wie er genannt wird, ist immer dabei. Ohne ihn dürfen wir das Hotel mit unserer Kameraausrüstung gar nicht erst verlassen. Er ist unser Gefängniswärter, der uns bei dem journalistischen Freigang begleitet. Er entscheidet letztendlich, wo wir hinfahren dürfen.

„Auf einem Markt wollt ihr drehen?“ Er sucht ihn aus. In einer Schule? Er legt fest, welche, und lässt die Lehrer vorbereiten. Stramme Durchhalteparolen bekommen wir zu hören von Lehrern wie von Schülern. Etwas anderes war auch gar nicht zu erwarten. Er steht neben der Kamera und hört genau zu, was uns die Libyer erzählen. Er ist das große Ohr des Regimes, der Gesinnungswächter, Schnüffler und Zensor. Kein Wunder, dass wir nur das von den Menschen zu hören bekommen, was diesem Aufpasser und damit dem Regime genehm ist. Bei schier endlosen Autoschlangen vor Tankstellen hören wir anfangs keine Klage über Benzinknappheit im Ölland Libyen: „Das ist bei uns immer so. Zu dieser Tageszeit wollen halt viele tanken.“ Dass wir solche Schlangen zu jeder Tageszeit beobachtet haben, spielt dabei keine Rolle.

Doch dann bekamen wir auf einmal ganz andere Antworten. Es war im April. Der Krieg war gerade drei Wochen alt, und wegen der Luftangriffe lief es für Gaddafis Truppen nicht sonderlich gut. Plötzlich gab es diesen Mangel, und zwar nicht nur beim Benzin oder beim Brot. Die Menschen klagten, sahen ihre Existenz bedroht. Es fehlte plötzlich an allem, an Lebensmitteln, an Babynahrung und besonders dramatisch an Medikamenten. Schuld sei, so wussten alle, die wir fragten, die Nato. Schutz von Zivilisten, wie es die UN-Resolution vorschreibt? Von wegen! Die würden nicht militärische Ziele treffen, sondern sie, die Libyer selber. In einem libyschen Krankenhaus haben wir viel später erfahren, dass es nie einen Mangel an Medikamenten und ärztlichem Gerät gegeben hat. Erfahren haben wir dies, weil wir im richtigen Augenblick die richtigen Fragen gestellt haben.

Gelegentlich werden wir auch in richtiges Kriegsgebiet gefahren, in die umkämpfte Stadt Misurata zum Beispiel. Das sind Ausflüge für die Kamera. Bilder gibt es genügend, nur Möglichkeiten zur unabhängigen Recherche sind ziemlich gebremst. Die Aufpasser versuchen zu diktieren, was man schreiben soll. Ich glaube nicht, dass sie damit bei irgendeinem Kollegen Erfolg haben.

Dann halt Syrien. Syrien ist noch viel schwieriger als Libyen. Gaddafis Wohnzelt kann man noch besichtigen, man muss nur ein respektvolles Gesicht machen, damit der Aufpasser nicht merkt, wie albern man diesen von hohen Mauern und Flugabwehrgeschützen umgebenen Campingplatz findet. In Baschars Syrien findet der Demonstrantenmord hinter verschlossenen Türen statt. Kein Berichterstatter soll Zeuge sein.

Die Blogger, über die wir die Handybilder mit den Demonstrationen bekommen, versuchen Spreu vom Weizen zu trennen und versprechen, nur die weiterzugeben, deren Herkunft sie einigermaßen verifizieren können. Ein Restrisiko bleibt, das Regime versucht, Fälschungen in diesen Kreislauf einzuspeisen, um anschließend Sendern, die die Videos eingesetzt haben, ebendiese Fälschungen nachzuweisen. Syrien zielt bei solchen Schmuddeltricks auf die arabischen Nachrichtensender wie al-Dschasira, die beliebt sind bei den Syrern, ihre einzige Informationsquelle, weniger auf europäische Programme. Es ist also immer auch ein bisschen Glück dabei, wenn man als Berichterstatter nicht allzu viele Fehler macht.

Videos sind das Fenster nach draußen

Das beantwortet auch schon die nächste Frage der Kontext:Wochenzeitung: Inwieweit kann man sich auf die Bilder verlassen? Man kann nicht, aber man muss. Sie nicht zu benutzen, hieße, genau das zu tun, was sich das Regime wünscht. Massaker würden dann hinter verschlossenen Türen stattfinden. Diese Videos sind das Fenster nach draußen, sie sorgen für UN-Resolutionen und für Entschließungen der EU. Ohne diese Videobeweise würde der Westen viel mehr wegschauen, als er es ohnehin gelegentlich schon tut.

Aktualitätsdruck? Was soll die Frage? Lässt das noch Zeit für Hintergrund? Für wen halten Sie uns? Für Reporter unter Aktualitätsdruck vermutlich. Gott sei Dank haben wir ja den „Weltspiegel“, in dem wir Hintergrund machen können. In der Tat, der Aktualitätsdruck ist ein Problem, besonders für Kollegen, die mit dieser Region nicht so vertraut sind. Ich treibe mich schon ziemlich lange hier rum und weiß ein bisschen was. Dennoch: je schneller ist nicht immer desto besser. Anhalten und Nachdenken gerade in der Zeit eines Krieges nützt der Berichterstattung, und ich wünsche mir, ich könnte es öfters.

Also, das sind meine Antworten. Ein bisschen wissen wir doch, was wir tun. Manchmal wenigstens. Ach ja, da ist ganz am Ende Ihrer Mail noch so 'ne Frage: Wann würden Sie sagen: Ein Bericht ist gelungen? Na, ist doch klar, dann, wenn Sie zufrieden sind, wenn Sie sagen, ich fühle mich gut informiert von dem Armbruster, dann ist ein Bericht gelungen.